Huren stören die Kleiderordnung

Die Stadt Bonn sucht nach Lösungen für den Straßenstrich im Westen. Prostituierte wie Freier sind den Chefs großer Firmen, die sich in den letzten Jahren hier angesiedelt haben, ein Dorn im Auge

„Ich hab keinen Bock, wie Schlachtvieh in Reih und Glied zu stehen“

Aus Bonn MARTIN OCHMANN

Durch eine Drehtür verlassen ein paar junge, gutgekleidete Männer das Bürogebäude. Auf dessen Dach ist weithin sichtbar das rosa Erkennungszeichen der Telekom aufgepflanzt. Im Gespräch vertieft nehmen die Anzugträger die junge Frau, die ihnen entgegenkommt, kaum wahr: sehr kurzer, rot karierter Rock und sehr lange Beine, die in schwarzen Stulpenstiefeln enden. Sie zieht konzentriert an einer Zigarette und sieht an den Männern vorbei. Fest im Blick hat sie die Straße, auf der ein silberner Golf jetzt schon zum sechsten oder siebten Mal langsam vorbei fährt. Sie zieht den Kopf kurz ein, um den Fahrer zu sehen. Doch der ältere Mann hinterm Steuer scheint an ihr kein Interesse zu haben.

Es ist ruhig an diesem Nachmittag auf dem Bonner Straßenstrich. Sechs, sieben, manchmal acht Frauen laufen die Straße „Am Probsthof“ langsam auf und ab, verschwinden zu Fuß oder in Autos mit Kunden. Seit Ende der 60er dürfen Frauen hier im Bonner Westen anschaffen. Als man die Prostituierten 1968 aus der Innenstadt hierher vertrieb, war diese Ecke ein heruntergekommenes Areal mit Brachflächen und Schrottplätzen. Das hat sich geändert. „Dieser Bereich ist in den letzten Jahren städtebaulich sehr stark aufgewertet worden“, erklärt Stadtsprecher Friedel Frechen.

Deswegen könnte es jetzt für den Strich hier eng werden. Denn zahlungskräftige Investoren, die sich in den vergangenen Jahren in dem Bereich angesiedelt haben, machen zunehmend Druck. Die Telekom hat sich angesiedelt, gegenüber liegt das Bundesgesundheitsministerium, Daimler-Chrysler hat hier investiert. „Alles Dienstleister mit hohen Frauenanteil“, führt Frechen weiter aus. Und eben deren Mitarbeiterinnen hätten sich beschwert: über die Freier, die vermehrt auch sie am hellichten Tag belästigen würden.

Barbara Griffin arbeitet als Englischlehrerin für die Telekom und bestätigt die Vorwürfe. „Das ist sehr unangenehm“, platzt es aus ihr heraus. Aus Angst vor Belästigung versucht sie, „möglichst businessmäßig“ auszusehen. „Das ist völliger Quatsch“, wehrt Sigrid die Vorwürfe unwirsch ab. Sie ist 40 Jahre alt, trägt ein schmuckloses schwarzes Kleid, das bis zu den Knöcheln reicht und schafft hier schon seit ein paar Jahren an – um ihre Drogensucht zu finanzieren, wie sie freimütig zugibt. „Die Männer wissen genau, wen sie anquatschen, die fahren drei, vier Mal um den Block, bevor sie uns ansprechen“, sagt sie.

„Und überhaupt“, ergänzt sie lachend, „die erkennt man doch an ihren Hosenanzügen.“ Sie zeigt hinter sich in Richtung des rosa Ts: „Das ist der größte Arbeitgeber hier, die wollen mit der Stadt zocken.“ Insgesamt sei dies „aus polizei- und ordnungsrechtlicher Sicht ein problemloser und kriminalitätsarmer Straßenstrich“, bestätigt Stadtsprecher Frechen.

Eine Einschätzung, die man bei T-Systems nicht teilt. Ein Firmenvertreter schildert drastische Zustände mit „Nutten niedrigsten Niveaus“, öffentlichem Sex und Drogenkonsum. Den Schwarzen Peter für die Auseinandersetzung schiebt er der Stadt zu. Die habe es versäumt, die Frage der Straßenprostitution zu lösen, als sie vor fünf Jahren die Investoren hierher lockte. Im Bonner Stadtrat wird heftig diskutiert, wie es mit dem Straßenstrich weitergehen soll. Eine Überlegung ist, den Sperrbezirk massiv auszuweiten und den Straßenstrich nur noch auf der Straße „Am Dickobskreuz“ zu erlauben. An diesem Mittwoch hätte der Sozialausschuss erstmals über eine entsprechende Änderung der Sperrbezirksverordnung beraten sollen.

Doch die Pläne sind nach einer Intervention von Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann (SPD) vorerst vom Tisch. Die Gewerbetreibenden am Dickobskreuz hatten das Vorhaben in einem offenen Brief massiv kritisiert. Sie befürchten Umsatzeinbußen und werfen der Stadt vor, auf Kosten ihrer Kleinbetriebe dem „Druck der Großkonzerne nachzugeben“. Seither verhandelt die Stadt über Lösungen.

Von den Plänen zur Ausweitung des Sperrbezirks hält Sigrid gar nichts. „Hier ist es sowieso schon zu voll, seitdem die in Köln diese Boxen aufgestellt haben, und ich hab keinen Bock wie Schlachtvieh in Reih und Glied zu stehen“, nölt sie. Dass auch in Bonn bald Boxen aufgestellt werden, muss sie vorerst nicht befürchten. „Bei einem Investitionsvolumen von rund 500.000 Euro ist das weitab jeder Realität“, so Stadtsprecher Frechen.