Gemeindevorstand über Chanukka in Bremen: „Nicht nur wir brauchen das Licht“
Die Jüdischen Gemeinden in Bremen und Bremerhaven feiern Lichterfest. Grigori Pantijelew erklärt, warum wir Hoffnung in dunklen Zeiten brauchen.
taz: Chanukka, das Lichterfest, steht für Hoffnung. Wie vermitteln Sie diese in Kriegszeiten, Herr Pantijelew?
Grigori Pantijelew: Die Menschen brauchen Hoffnung, dass diese Zeit des Krieges vorbei sein wird. Es ist an uns, Hoffnung zu vermitteln: an die Kämpfer, an die Opfer und alle, die meinen, unbeteiligt am Rande der Straße zu stehen.
geboren 1958, ist Vorstand der Jüdischen Gemeinde im Land Bremen. Er studierte und promovierte am Moskauer Konservatorium.
Hoffnung worauf?
Der Sinn dieses Festes ist, dass das Licht die Dunkelheit besiegt. Und in dieser Metapher liegt der Sinn des Lebens und die Freude darüber, dass es möglich ist, ob es per Wunder oder über die menschlichen Handlungen kommt. Darauf muss man hinarbeiten.
Warum benötigt ein solches Fest Öffentlichkeit?
Chanukka ist einer der wenigen jüdischen Feiertage, an dem es tatsächlich um Öffentlichkeit geht. Das Fest ist explizit darauf ausgerichtet, auch für Nichtjuden zugänglich zu sein. Es ist ja auffällig, dass diese Zeit von den meisten Religionen als Zeit der Dunkelheit draußen benutzt wird, um das Licht anzusprechen. Uns ist wichtig, diese Botschaft nach außen zu tragen, weil sie allgemein menschlich ist. Wir betrachten sie als unseren Beitrag zur Krisenbewältigung. Wir sehen aktuell eine sehr deutliche Krise in der Gesellschaft und nicht nur wir brauchen Licht. Ich glaube, alle brauchen das.
Das hat in Deutschland eine besondere Bedeutung …
Bremen, So, 18. 12., 15 Uhr, vor der Glocke; Hamburg:
16 Uhr, Reesendammbrücke, und 17 Uhr, Anleger Jungfernstieg; Delmenhorst: Mo, 19. 12., 16 Uhr, Rathausfoyer; Hannover: Mi, 21. 12., 18.30 Uhr, Cumberlandsche Galerie; Bremerhaven: Do, 22. 12., 15 Uhr, Kleiner Blink 6
Das jüdische Leben in Deutschland meint, angekommen zu sein: Wenn es aber nicht öffentlich sein kann, solange es unsichtbar bleibt, steht das im Widerspruch zur behaupteten Normalität. Das Leben der jüdischen Gemeinde findet fast immer notgedrungen hinter einem Zaun und unter Polizeischutz statt. Mit diesem Fest haben wir die Möglichkeit, das zu öffnen. Wir gehen das offensiv an, indem wir uns zeigen. In Überzeugung, dass es ein gutes Zeichen der Freundschaft und beiderseitiger Akzeptanz ist.
Wie tragen Sie das Fest nach draußen?
Es werden in Bremerhaven und Bremen große Chanukka-Leuchter aufgestellt in der Öffentlichkeit, an zentralen Orten. In Bremen hat Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) zugesagt, zum Anzünden der ersten Kerze am Sonntag zu erscheinen, sodass wir das gemeinsam machen können.
Direkt am Weihnachtsmarkt?
Nein, wir suchen ja keine Konkurrenz. Dementsprechend ist unser Fest explizit nicht am Weihnachtsmarkt. Wir werden vor der Glocke sein, dem Bremer Konzertsaal. Da stehen dann Teilnehmer und Interessierte. Der Landesrabbiner Netanel Teitelbaum bringt eine sehr große Chanukkia mit, also den Chanukka-Leuchter: Der Leuchter hat insgesamt acht Arme, und von Tag zu Tag wird eine weitere angezündet – das ist es schon. Keine Feierlichkeit für mehrere Stunden in dieser kalten Zeit, aber symbolisch sehr deutlich für alle.
Anders als die Hilfe der Gemeinde für Geflüchtete …
Es stimmt, wir haben vom 24. Februar dieses Jahres an viel gemacht, um in unserer unmittelbaren Umgebung zu helfen – natürlich zunächst vor allem den jüdischen Geflüchteten. Seit April betreiben wir aber auch eine Gruppe in unserer Bremer Kindertagesstätte explizit für die Kinder aus ukrainischen Familien und ohne darauf zu achten, ob es jüdische oder nicht jüdische Kinder sind. Diese Kinder sprechen kein Deutsch. Wir haben also auch die Ukrainisch sprechenden Erzieherinnen eingestellt. Es sind inzwischen mehrere Dutzende von Kindern durch diese Gruppen gegangen. Soweit wir wissen, waren wir da Pioniere.
Also helfen Sie, die Flüchtlinge zu integrieren?
Unser Plan ist zu helfen. Die meisten von diesen Flüchtlingen haben gar nicht vor, hier zu bleiben und sich integrieren zu lassen. Ukrainische Kämpfer brauchen Zuversicht und das sichere Gefühl, dass sie auf Deutschland sich verlassen können. Sie kämpfen ja auch für uns.
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