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kritisch gesehen: „Swan Fate“ auf KampnagelUtopie statt Tutu und Spitzenschuh

Weiße Tutus, Schwanenfedern im Haar und Spitzentanz: Von „Schwanensee“ hat fast je­de:r ein Bild im Kopf, auch ohne eine Inszenierung des Ballettklassikers zu Tschaikowskys Musik gesehen zu haben. Auch im Stück „Swan Fate“ der Hamburger Choreografin Ursina Tossi gibt es Tutus und Schwanenfedern und es wird Walzer getanzt. Aber klassisch ist in dieser queerfeministischen Aneignung sonst nichts. Stattdessen lädt das Ensemble ein, sich mit den kanonischen Bildern vom klassischen Ballett auseinanderzusetzen; mit der Gewalt, die in ihnen steckt; mit der Kontrolle, die sie dem Körper abverlangen.

Kurzweilige anderthalb Stunden lang geht es so um die Bilder, die wir alle haben von solchen Märchen-Geschichten, von der Erlösung durch die wahre Liebe; von Traumwelten, in die man sich flüchtet, von der Verzauberung, der Täuschung und der Verwandlung; von Prinzen, Prinzessinnen – und davon, wie solche Geschichten doch immer ausgehen müssen: todtraurig.

Tossi und ihr Ensemble erzählen die Geschichten anders, mit diverseren Körpern, zeitgenössischen Tanzstilen wie Hip-Hop und Waacking; mit Video-Projektionen und Gebärden-Poesie und einer Audiodeskription, die immer noch andere Perspektiven aufs Bühnengeschehen anbieten. Und mit betörender Musik nicht nur von Tschaikowsky, sondern auch vom Folktronica-Duo CocoRosie, mal düster wabernd, mal zart wehklagend, mal pompös opernhaft.

Unter zwei großen Mond-Bällen und auf spiegelndem Bühnenboden entstehen vielschichtige Bilder, die keine leidvolle heteronormative Liebestragödie mehr erzählen, sondern eine große Befreiungsgeschichte als viele kleine Geschichten über die Macht der Bilder über die Körper und deren Entwindung daraus: beeindruckend nuancierte Verwandlungen von Menschen in Tiere und zurück, intensive Jagd- und Überwältigungsszenen – und viele, viele Küsse und zarte Versuche, die Körper liebevoll in Berührung treten zu lassen.

Gut geht die Geschichte diesmal auch aus. Kein Liebender muss in Fluten untergehen: Ein Körper schraubt sich wunderschön poetisch eine fünf Meter hohe Stange empor, während eine Stimme erzählt, wie befreiend sich das anfühlt: als könne man allem entfliehen, was festhält. Ewiges Fliegen statt ewiger Walzer. Robert Matthies

„Swan Fate“, 16. und 17. 12, 21 Uhr, Hamburg, Kampnagel

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