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Die Berlinisierung des Boulevards

Der Film als Material für die Malerei. In ihren Gemälden reproduziert die Berliner Künstlerin Carola Göllner Szenen aus Jean-Luc Godards „Nana S.“ und verfremdet sie leicht. Zu sehen im Institut français

Von Michael Freerix

Malerei findet sich häufig in der Bildgestaltung von Filmen wieder, aber wie ist es umgekehrt: Wie häufig tauchen Filmbilder in der Malerei auf?

Dazu gibt es derzeit eine Ausstellung im Institut français, und zwar mit Malerei von Carola Göllner. Immer wieder hat sich Göllner in ihrem Leben mit dem Film als Material für ihre Malerei beschäftigt. In dieser Ausstellung geht es speziell um den Film „Vivre ça vie“ (Die Geschichte der Nana S.) von Jean-Luc Godard.

Als Göllner diesen Film vor rund 20 Jahren zum ersten Mal sah, muss sie wie geschockt gewesen sein. „Der Film ist so brutal, er handelt von jungen Menschen, die einen Traum haben und dann scheitern“, erinnert sie sich. Unter dem Eindruck dieses Schocks begann sie, sich mit Godards Bildern in „Vivre ça vie“ zu beschäftigen. Der Film selbst handelt von einer (im Original) Nana Kleinfrankenheim, die aus ihrer Ehe ausbricht, denn sie möchte Schauspielerin werden. Sie arbeitet zwar in einem Schallplattengeschäft, doch reicht das Geld nicht, um allein über die Runden zu kommen. Sie verliert ihre neue Wohnung. Auf der Suche nach einem Job, der ihr ein Auskommen ermöglicht, landet sie in der Prostitution. Schließlich will sie ihr Zuhälter an einen anderen Zuhälter verkaufen, und im Streit um den Kaufpreis kommt es zu einem Schusswechsel. Nana stirbt.

Immer wieder malte Göllner, teilweise mit monatlichen Unterbrechungen, Szenen aus Godards filmischen Essay über den Abstieg der Pariserin Nana in die Prostitution. Dabei entdeckte sie: „Er denkt wie ein Maler.“ Klare Cadragen, ein Spiel mit Licht aus dem Hintergrund, und eigenartige Bildkompositionen, die häufig Nebensächliches in den Mittelpunkt nehmen, sind die Merkmale von Godards Bildern in der „Geschichte der Nana S.“

Der ungewöhnlich aufgebaute Film besitzt zwar eine Handlung, doch ist diese unterbrochen von Zwischentiteln, die auch wie Überschriften wirken. So wird Distanz geschafften, trotz der Tragik der Geschichte wird man weniger in die Handlung hineingezogen, sondern in eine Position des Betrachtens gebracht. Godards Film ist in Schwarzweiß, Göllners Malerei hingegen ist in Farbe.

Auch an anderer Stelle verfremdet die Malerin das orignale Filmmaterial. Die Gesichter auf ihren Bildern ähneln in ihrem Ausdruck und ihren Frisuren vielmehr denjenigen von Personen der Gegenwart. Göllner vertauscht die Filmszenen mit Situationen von heute, verschiebt sie auf ihren Gemälden leicht. Es ginge ihr um eine Aktualisierung des Gezeigten. Denn „Die Geschichte der Nana S.“ sei „hochaktuell“. So lässt sich auch eine gewisse Berlinisierung in ihren Gemälden wahrnehmen. Keine Boulevards mit Hausmann'schen Gebäudefassaden, sondern urbane Weite und Grafitti an den Wänden holen die Geschichte von Godard aus dem Jahr 1961 ins Jetzt.

Göllner vertauscht die Filmszenen mit Situationen von heute

Carola Göllner, Jahrgang 1961, bedient sich in ihrer künstlerischen Arbeit immer wieder filmischer Quellen. Eine ihrer Serien widmete sie dem Schauspieler Michael Caine. Dessen Gesicht übersteigerte sie auf den Gemälden dann zur Ikonenhaftigkeit. In ihren Arbeiten über Ingmar Bergman konzentrierte sich Göllner auf die psychologischen Themen des schwedischen Regisseurs. Neu in dieser kleinen Ausstellung im Institut français sind die Storyboards, die Göllner aus Godards Filmessay zur Nana S. heraus entwickelt hat. Wobei der französisch-schweizerische Regisseur weniger mit solchen Storyboards gearbeitet hat.

Vielmehr soll er beim Dreh Angaben und Anweisungen gemacht haben, wie sein Kameramann Raoul Coutard einmal erzählte. Ein Drehtag bei Godard muss eher eine Kette von Improvisationen gewesen sein als eine Reihe von Szenenaufnahmen, die zuvor in einem Drehbuch skizziert wurden wie bei gängigen Dreharbeiten.

Das Institut français liegt am Kurfürstendamm. Nach dem Besuch der Ausstellung tritt man auf diesen Berliner Boulevard und fragt sich, wo sie denn derzeit stehen mögen, die Frauen, die einen Traum haben und in der Prostitution landen.

Carola Göllner: „Vivre sa vie“. Institut français Berlin – Alice-Guy-Galerie, bis 23. Dezember

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