: Nachhaltig schmoren
Alle werden satt – ein Weihnachtsessen, mit dem vom Fleischesser bis zur Veganerin jede Person am Tisch bestens versorgt ist: ein günstiges und nachhaltiges Fleisch, ein buntes Türmchen aus Couscous und Pilaf und ein schöner, gefüllter Portobellopilz machen die Festtagstafel rund
Von Lisa Shoemaker
Düstere Aussichten für Weihnachten. Unserer alljährlichen Festtagsrunde schwant schon, dass wir bibbernd unterm Tannenbaum sitzen werden. Was auf den Tisch kommt, bestimmt diesmal auch der Preis. Besonders Gänse werden dieses Jahr voraussichtlich zur Luxusware, denn die Vogelgrippe hat sie zum knappen Gut gemacht. Es kursieren Gerüchte von bis zu 150 Euro für einen Vogel. Aber keine Bange – wir finden eine Lösung. Beziehungsweise mehrere. Denn wie in jedem Jahr wird bei uns im Haus wieder eine Runde mit ganz unterschiedlichen Essensvorlieben bekocht. Am Ende wird jede und jeder satt und glücklich.
Wer sparen möchte oder muss, dem Fleisch aber nicht entsagen will, kann sich nach einem preisgünstigeren Stück zum Schmoren umsehen, etwa nach einer Rinderbrust – amerkanisiert als Brisket beliebt –, einer Lammschulter oder, noch nachhaltiger, einem Wildschweinnacken. Zugegeben, diese Braten eignen sich nicht dazu, rosig serviert zu werden. Aber im Gegensatz zu einem durchgegarten Filet, das einfach nur trocken und fad schmeckt, sind sie saftig und zart – wenn man ihnen bei relativ niedrigen Temperaturen genügend Zeit zur Entfaltung gibt, low and slow, wie die Angelsachsen das nennen.
Und Schmoren hat einen weiteren Vorteil: Da es sich um ein relativ großes Stück Fleisch handelt, kann man mehr Menschen problemlos damit füttern, der Arbeitsaufwand erhöht sich kaum.
Zum Schmoren eignen sich Muskelpartien, die beim Kurzbraten extrem zäh und geradezu ungenießbar wären, während das lange, langsame Schmoren das Kollagen des Bindegewebes zum Schmelzen bringt und so dafür sorgt, dass der Braten schön saftig bleibt. Das Fleisch wird leicht gesalzen und, wenn gewünscht, mit Gewürzen eingerieben, in etwas Flüssigkeit (circa 2–3 fingerbreit hoch, von Wasser bis Rotwein ist alles möglich) auf Gemüse gebettet (klassisch wären Zwiebeln, Karotten, Sellerie), mit Aromaten (Knoblauch, Lorbeer) umgeben und gut abgedeckt, idealerweise mit einem gutsitzenden Deckel, weniger ideal mit Alufolie, bei einer Temperatur von zwischen 135 und 160 °C in den Ofen. Bis es so weich ist, dass man es problemlos mit einer Gabel zerpflücken kann beziehungsweise es vom eventuell vorhandenen Knochen fällt. Man braucht Geduld. Es wird. Ich habe einmal zwei Stunden in einem Restaurant auf ein Brisket gewartet, das eigentlich bei meiner Ankunft hätte fertig sein sollen.
Eine Lammschulter braucht um die sieben bis acht, ein Brisket vier bis sechs Stunden, aber man rechnet lieber noch mehr Zeit ein. Ist das Fleisch zu früh fertig, kann es später gut wieder erhitzt werden. Das Wunderbare ist, dass man sich, sobald es im Ofen verschwunden ist, überhaupt nicht kümmern muss, und man bekommt obendrein eine wunderbare Sauce. Natürlich muss man sie später ein wenig entfetten, wahrscheinlich reduzieren und abschmecken.
Und man sollte nicht vergessen, die Heizung runterzudrehen, wenn der Braten im Ofen ist. Er wird für die nächsten Stunden die Küche wärmen.
Die Fleischfresser wären damit versorgt.
Das gemeinsame Sättigungselement ist für Fleischesser und Fleischlose gemeinsam gedacht. Es gibt im Mittelpunkt der Tafel einen wunderbaren Hingucker ab: Couscous, zu einem Kegel angehäuft, mit Kreuzkümmel und Koriandersamen gewürzt, äußerlich belegt in bunten, gebratenen Gemüsestreifen: Karotten, Zucchini, Paprika jeder Couleur, im Ofen geröstete Kürbistranchen. Alternativ ein persisch angehauchtes Pilaf, gelb und duftend vom Safran, aus dem grüne Pistazien, rubinfarbene Granatapfelkerne oder kleine, rote Berberitzen hervorlugen. Für das Pilaf wird der Reis mit Kardamomkapseln und einer Zimtstange sanft in (veganer) Butter angebraten, bevor das Wasser angegossen wird. Den Reis misst man am besten in Tassen ab, dann das anderthalbfache Volumen an Wasser, aufkochen, salzen, umrühren, auf kleine Flamme schalten, Deckel drauf und vor allem nicht mehr rühren bis vor dem Servieren, wenn der in etwas warmem Wasser eingeweichte Safran untergehoben wird.
Da ich persönlich nicht auf industriellen Fleischersatz stehe, gibt es für die Vegetarierinnen gefüllte Portobellopilze, jene Riesenchampignons, die in der letzten Zeit in vielen Gemüseauslagen zu finden sind. Pilze gehören offiziell nicht mehr zu den Pflanzen, sondern bilden ihr eigenes Reich von Lebewesen. Dass sie kein Gemüse sind, war im deutschen Sprachgebrauch schon lange klar, denn egal wie lange man sie kocht, zu Mus zerfallen sie nicht. Gesund sind sie außerdem, neben Mineralstoffen und Spurenelementen enthalten sie auch etwas Vitamin D. Funfact: Das größte Lebewesen der Welt ist ein Pilz im US-Staat Oregon, der es sich auf 1.000 Hektar ausgebreitet hat.
Geschmacklich passt Mangold gut zu Pilzen. Beim Mangold die Stiele von den Blättern trennen, die Stiele kleinschneiden und zusammen mit Zwiebelringen und Pilzstielen in Butter oder Olivenöl anbraten, bis alles weich ist. Dann Rosinen und Mandelblättchen hinzufügen, die Mangoldblätter in Streifen schneiden und ebenfalls untermengen. Abschmecken. In die Pilze füllen, mit einer Kruste aus Semmelbrösel, Petersilie, geriebenem Knoblauch und Parmesan toppen – für Veganer letzteren einfach weglassen. Und ab in den Ofen.
Ein Diskussionspunkt hier: Ist es den Vegetariern recht, wenn die Pilze im selben Ofen garen wie das abgedeckte Fleisch? Wenn nicht, müssen die Pilze in einer Pfanne mit Deckel zubereitet werden. Oder sie kommen dann in den Ofen, wenn der Braten vorm Zerlegen ruht. Als Gemüsebeilage eignen sich Auberginen mit Miso gebraten, geröstete Süßkartoffelspalten, bestrichen mit einer Emulsion aus koreanischer Gochujang (mäßig scharfe Chilipaste), hellem Miso und Olivenöl. Rosenkohl mit Kastanien. Halbe Ofentomaten, getoppt mit der gleichen Kruste wie die Pilze.
Für Frische sorgen Krautsalat mit Granatapfel, Minze und einem Zitronendressing und gekochte rote Bete mit Apfel, Frühlingszwiebeln und einem Himbeerdressing.
Wer sich um die ausgewogene Ernährung seiner Gäste sorgt, sollte ein Element aus Hülsenfrüchten einfügen, dann haben auch die Vegetarierinnen ihre Proteine: Als Vorspeise eine türkische Linsensuppe oder ein Salat mit weißen Bohnen oder Kichererbsen. Solltet ihr die Bohnen aus getrockneter Ware selber zubereiten, macht es in einem Schnellkochtopf, das spart Energie und Zeit. Weicht man sie vor dem Kochen einen Tag ein, macht sie das bekömmlicher.
Und am Ende biegt sich die Tafel dann doch unter einer bunten Vielfalt an Gerichten, während die Restwärme des Ofens die Runde wärmt.
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