Fridays for Future in Japan: Bloß nicht zu radikal
Die Klimabewegung Fridays for Future ist in Japan trotz des hohen Treibhausgasausstoßes des Landes noch sehr klein. Aber sie will wachsen.
Mit selbst gemalten Plakaten, Edding auf Pappkartons, Masken und in Secondhand-Klamotten repräsentieren sie die Fridays-for-Future-Bewegung Tokio. Sie wollen die Mitarbeiter:innen des Ministeriums, die täglich darüber entscheiden können, in welche Energiequellen investiert wird, an die Brisanz der Klimakrise erinnern.
Japan hat mit einer landesweiten durchschnittlichen CO₂-Emissionsbilanz von 8,6 Tonnen pro Kopf im Jahr 2021 etwas mehr als Deutschland mit 8,1 Tonnen. Weniger Kohle abbauen und damit CO₂-Emissionen reduzieren, lauten deshalb die zentralen Forderungen auf den Plakaten der Aktivist:innen. Gestartet haben sie die wöchentliche Aktion im September.
Greta hat überzeugt
„Insgesamt sind wir um die 20 bis 30 wirklich engagierte Aktivisten“, sagt Fuka Kurokawa. Die Gruppe organisiert sich auf dem japanischen Messengerdienst Line, dort zählt sie um die 100 Mitglieder. Die zwei bekanntesten Gesichter der Bewegung sind Isao Sakai, Gründer von Fridays for Future (FFF) Japan, und Lillian Ono, japanweit wohl die berühmteste Aktivistin, sie sind heute nicht dabei.
Kurokawa, 23 Jahre alt und seit etwa zwei Jahren aktiv, trägt ein selbst gemaltes Schild, mit Greta Thunberg umrahmt von japanischen Schriftzeichen. „Greta hat mich überhaupt dazu gebracht, mich der Klimabewegung anzuschließen“, erzählt sie. Sie habe sie auf Youtube gesehen und sich dann der Gruppe in Tokio angeschlossen.
Diese gibt es seit 2019 und sie gehört neben denen in den Städten Kioto, Fukuoka und Sapporo zu den größten und aktivsten Japans. „Hauptsächlich sind es Studierende, die bei uns mitmachen, aber es kommen immer mehr Highschool-Schüler hinzu“, sagt Kurokawa. Nach Psychologie studiert sie nun Buchhaltung für eine bessere Qualifikation – wie sie selbst sagt.
Vieles geht nicht so wie in Europa
Von Beginn der heutigen Protestaktion an dabei ist neben Kurokawa und einem 19-jährigen Studenten auch eine junge Soziologiestudentin aus Frankreich, die lieber anonym bleiben möchte, da ihr Forschungsprojekt noch nicht abgeschlossen ist. An der Tokyo Metropolitan University schreibt sie gerade ihre Masterarbeit zur jungen Klimabewegung in Japan, genauer zu FFF. Sie steht heute als Feldforscherin vor dem riesigen Gebäude aus Beton und Glas.
„Hier in Japan können Aktivisten viele Dinge nicht so machen wie in Europa“, erklärt sie. Seit den Studentenaufständen und Besetzungen von Universitäten in den 1968er Jahren in Tokio, die mit Straßenschlachten mit der Polizei endeten, denke die Bevölkerung nicht besonders gut über Demos, geschweige denn zivilen Ungehorsam.
Es sind wenn überhaupt die globalen Klimastreiks, an denen die Gruppe auch in Tokio auf die Straße geht. Das letzte Mal am 23. September. Um 400 Demonstrierende seien es an dem Tag gewesen, erzählen Kurokawa und die Masterstudentin.
Autobahnblockaden? Niemals!
Zwar ist die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Japan gegeben, Demonstrationen liefen in Japan aber viel geordneter ab, als man das zum Beispiel aus Europa kennt: viel durchorganisierter. In geordneten Reihen seien die Demonstrierenden von der Polizei durch Omotesando, einer der prächtigsten Alleen Tokios, an dem weiterlaufenden Verkehr vorbeigeleitet worden. Es sei mehr ein Marsch auf dem Bürgersteig gewesen, statt einer Demo.
Schon mal innerhalb der Gruppe über Autobahnblockaden und zivilen Ungehorsam nachgedacht? Kurokawa lacht. „Niemals würde das hier funktionieren“, sagt sie. Das würde der Bewegung eher schaden, die wenigen Menschen, die mit ihnen sympathisierten, würden sich abwenden. Und das scheint der Gruppe besonders wichtig zu sein: ihr Bild, das sie in der japanischen Gesellschaft haben. Ein großes Ziel ist Anerkennung, um zusätzliche Mitglieder gewinnen zu können.
„In der japanischen Presse kommen die Aktionen der Aktivisten gut an“, sagt die Feldforscherin. „Sie haben das Image junger Menschen, die sich engagieren und sich für die Umwelt einsetzen.“ Dabei stünden sie nicht alleine da: Im Hintergrund bekomme FFF in Japan Unterstützung von den eigenen Eltern oder Verbänden wie Greenpeace oder der internationalen Klimaschutzorganisation 350.org. Die Reaktionen der Politiker:innen seien aber bis auf ein paar vereinzelte Treffen mit lokalen Bürgermeistern bislang ausgeblieben.
Kohlekraftwerke statt AKWs
In Japan stellt seit 1955 – mit wenigen, kurzen Unterbrechungen – fast durchgängig die Liberaldemokratische Partei (LDP) die Regierung. Klimapolitisch lassen sich ihre Erfolge in drei Stichworten zusammenfassen: die Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens, das Versprechen, bis 2030 die Emission um fast die Hälfte zu senken, indem zum Beispiel „inneffektive“ Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, und die Bepreisung von Plastiktüten.
Doch immer noch liegt Japan – das Land, in dem das berühmte Kioto-Protokoll unterschrieben wurde – im weltweiten Ranking der meist emittierenden Ländern auf Platz 5, macht 3,2 Prozent des globalen Gesamtausstoßes aus. Im Jahr 2021 lag der Anteil der Kohle an der Stromerzeugung in Japan bei 32 Prozent. Was fossile Energieträger insgesamt angeht, lag er 2020 bei 84,8 Prozent. Die Rohstoffe hierfür muss Japan fast komplett importieren. Dennoch werden weitere Kohlekraftwerke gebaut, das größte in Planung ist das an der Küste von Yokosuka, rund 100 Kilometer südlich von Tokio.
Aufgrund der starken Abneigung in der Gesellschaft gegen Atomkraft als Energiequelle seit der nuklearen Katastrophe in Fukushima 2011 scheint Kohle die momentane Lösung für die japanische Energiepolitik zu sein. Erneuerbare Energien, also Wind- und Sonnenenergie, Biomasse sowie Erdwärme, für die FFF plädiert, machten 7,7 Prozent des japanischen Gesamtverbrauchs von 2019 aus, Wasserkraft zudem noch zusätzlich knappe 8 Prozent.
Mehr Einfluss übers Internet
Ihre größte Wirkung erzielt FFF in Japan aber nicht über Aktionen vor Ort, sondern über die sozialen Medien. Spätestens seit der Coronapandemie, in der Versammlungen sehr ungern gesehen waren, spielten diese eine bedeutende, fast entscheidende Rolle, erklärt die Soziologiestudentin.
Meinungen zum Umgang mit der Klimakrise und Forderungen würden auf Twitter oder Instagram geteilt. So gebe es jetzt im Rahmen der Weltklimakonferenz auch eine Fotoaktion der Gruppe. „Einmal hat es geregnet und wir waren nur zu dritt, da haben wir ein Foto gemacht und sind direkt wieder gegangen“, erzählt sie weiter. Die Aktion – so kurz sie auch gewesen sei – auf den sozialen Netzwerken zu verbreiten, bewirke viel mehr.
Heute regnet es nicht, die Nacht ist lau. Noch etwa eine Stunde wollen die Aktivist:innen auf dem Bürgersteig vor dem Ministerium stehen. Immer wieder laufen Menschen in Anzügen an ihnen vorbei. Stehen bleibt niemand. „Es hat auch schon mal der ein oder andere gefragt, wofür wir stehen, und sich informiert“, sagt Kurokawa. Heute laufen die meisten lieber, den Blick nach vorn gerichtet, an ihnen vorbei Richtung U-Bahn-Station. Doch an aufgeben ist bei den fünf Aktivist:innen nicht zu denken. Sie harren weiter aus und fordern weiter. Greta hätte es schließlich nicht anders gemacht.
Die Recherche für den Artikel wurde gefördert und finanziert von der taz Panter Stiftung
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