Stirbt die Linkspartei?
Ja

Krise Wahlniederlagen, ein zermürbender Machtkampf und dann der Rückzieher Lafontaines. Manche wittern das Ende der Linken – andere eine Chance

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Hubertus Knabe, 52, ist Direktor der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen

Vor zwei Jahren habe ich an dieser Stelle den Niedergang der Linkspartei unter ihren neuen Vorsitzenden vorausgesagt. Er ist schneller eingetreten, als ich vermuten konnte. Jetzt ist er in eine neue, dramatischere Phase eingetreten. Vordergründig liegt das am unerbittlichen Führungskampf. Die Partei ist in zwei Lager zerfallen, die zu versöhnen kaum noch möglich ist. Wichtiger ist, dass sie ihre Themen verloren hat: Hartz IV und Afghanistan haben sich totgelaufen. Die DDR-Nostalgiker sterben aus – im wahrsten Sinne des Wortes. Vor allem erweisen sich die Piraten als Totengräber. Wer eine Alternative sucht, wählt lieber sie als die altbackene Linke. Trotz ihrer revoluzzerhaften Rhetorik war sie immer die strukturkonservativste Partei Deutschlands. Der Niedergang wird also weitergehen: In Niedersachsen und im Bund wird sie die Fünfprozenthürde verfehlen. Dort verschwunden, wird sie auch im Osten schrumpfen. Und irgendwann können wir die viermal umbenannte SED endlich zu Grabe tragen.

Oliver Höfinghoff, 34, sitzt für die Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus

Eigentlich gibt es nicht „Die Linke“, sondern nur „Die Linken“. Drei Parteien in einer: die Ost-Linke, die – kleiner Seitenhieb – bereits seit 1949 Regierungsfähigkeit bewiesen hat, „Oskars Hofstaat“ im Saarland und die restliche West-Linke. Während im Osten nach Manier einer Volkspartei Politik betrieben wird, ist die West-Linke eine Spielwiese für Alt-Stalinisten und andere Verwirrte. Und die werden weniger. Der demografische Wandel wird die Linkspartei früher oder später dahinraffen. Zudem: Allein mit Marx lassen sich die Probleme des 21. Jahrhunderts nicht mehr lösen. Und frischer Wind bläst aus einer anderen Richtung.

Peter Lösche, 73, ist Politikwissenschaftler und lehrte an der Universität Göttingen

Ja, die Linke wird zum Teil absterben, zum Teil aber auch überleben. In jedem Fall wird sie sich fundamental verändern, nämlich zur Regionalpartei Ost. Nicht nur wegen ihrer Machtrangeleien. Es geht um einen strukturellen Konflikt: Volkspartei gegen Sekte, Ost gegen West, Reformer gegen Fundis, Annäherung an die SPD gegen Verteufelung der Sozialdemokratie. Wo soll da ein Konsens herkommen, der auf Dauer auch noch hält? Übrigens: Lafontaines Bedingung, nur ohne Gegenkandidaten zu kandidieren, müffelte nach leninistischem Parteimodell. Die „Ossis“ in der Partei begehren dagegen auf. Warum rebellieren die „Wessis“ nicht? Sie erheben doch auch sonst den Anspruch, die Inkarnation reinster Demokratie zu sein.

Bruno Gotenhaupt, 41, Betrugs-Analytiker, kommentierte die Streitfrage auf taz.de

Die Linke als Partei ist insgesamt überholt. Sie fliegt nach und nach aus allen „West-Landtagen“, weil sie den Wählern ihre Existenzberechtigung nicht vermitteln konnte. Im Osten durch Altkommunisten und ehemalige SED-Kader gehalten, wird sie aus demografischen Gründen auch hier verschwinden. Linke Kräfte müssen sich neu definieren und neue Ansätze einer mehrheitsfähigen Politik entwickeln.

Nein

Caren Lay, 39, ist Mitglied des Bundestags und Geschäftsführerin der Linkspartei

4,5 Millionen Menschen leben in Deutschland von Hartz IV. Jedes neunte Kind lebt in Armut. Die eine Hälfte der Bevölkerung besitzt grade mal 1,4 Prozent des gesamten Vermögens, den reichen zehn Prozent wiederum gehören zwei Drittel. Wer außer uns sieht darin einen Skandal? Als einzige Partei hat Die Linke dem neoliberalen Mainstream getrotzt. Wir haben die soziale Frage stark gemacht. Und bisher macht uns niemand diesen Platz streitig: Anders als die SPD blinken wir nicht nur links, sondern lehnen den Fiskalpakt genauso ab wie Hartz IV oder die Rente mit 67. Anders als die Grünen kümmern wir uns nicht nur um die Innenstadtbegrünung, sondern kämpfen für bezahlbaren Wohnraum oder unterstützen Blockupy beim Protest gegen das Spardiktat von Troika und Regierung. Anders als die Piraten stellen wir die Eigentumsfrage und verteidigen die Freiheit nicht nur im Netz. Das zeigt: Die Linke wird gebraucht. Deshalb stellen wir uns jetzt neu auf, damit Die Linke als moderne Partei wieder volle Kraft voraus gehen kann im Kampf für soziale Gerechtigkeit und Emanzipation. Eine weibliche Doppelspitze wäre dafür das richtige Signal.

Peter Grottian, 69, ist Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin

Die Linke stirbt noch nicht. Sie hat aber neben ihrem Führungs- auch ein massives Glaubwürdigkeits- und Inhaltsproblem: Die Partei wird nicht mehr als gesellschaftlich wichtiger Akteur für soziale Gerechtigkeit wahrgenommen und akzeptiert. Sie ist durch die Hartz-IV-Proteste aufgestiegen, hat konzeptionell zur sozialen Frage Beachtliches geleistet, hat aber in klassischer Parteienlogik den Bezug zum Sozialen und den zwölf Millionen Erwerbslosen, Armen und wenig Verdienenden verloren: pures Machtinteresse, von wegen Partei neuen Typs. Die sozial Deklassierten fühlen sich allein. Gemeinsame Proteste: Fehlanzeige. Sich wirklich kümmern: Fehlanzeige. Emotionale Mobilisierung: Fehlanzeige. Für Die Linke muss es ein Sturmzeichen sein, wenn sich die SPD um Hannelore Kraft die soziale Frage wieder aneignen kann. Wer nichts in Gang setzt, wenn fast eine Million Hartz-IV-Empfänger abgestraft werden, und wer bei Bankenprotesten nur hasenfüßig präsent ist, der ist relevanzgefährdet: jenseits aller Führungsfragen.

Jutta Ditfurth, 60, Soziologin und Autorin, ist Mitglied der Partei Ökologische Linke

Nein, die Linkspartei stirbt nicht. Wie stark sie aber schrumpft, entscheiden ausgerechnet die, die längst in der SPD wären, wenn die sie nur nähme. Die schärfsten Waffen des linken Parteiflügels bleiben leider ausgerechnet Oskar Lafontaine, der vor Fremdarbeitern warnte und das Asylrecht mit abgeschafft hat, und Sahra Wagenknecht. Was hätte aus ihr werden können, die sich jetzt von Gauweiler und Schirrmacher beglückwünschen lässt, weil sie behauptet, dass der alte Nazi Ludwig Erhard („Soziale Marktwirtschaft“) Recht gehabt hat und wir bis 1990 einen tollen Kapitalismus hatten? Die Piraten wiederum könnten sich als so kapitalismusmodernisierend und staatstragend erweisen, dass sie helfen, eine geschwächte Linkspartei aus den Parlamenten zu kippen. So geht Rechtsverschiebung auch, denn es gibt zu viele emanzipationsferne und rechtspopulistische Protestwähler_innen. Emanzipatorisch-linke Gesellschaftsveränderungen sind eben nur durch organisierte soziale Gegenmacht zu haben.