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Alltag in der Diktatur

Das Festival „Around the World in 14 Films“ zeigt von heute an in der Kulturbrauerei eine Art Best-of-Auswahl von internationalen Filmfestivals wie Cannes und Venedig. In der 17. Ausgabe sind deutlich mehr als 14 Filme zu sehen. Das Festival hat unter anderem einen Schwerpunkt zum iranischen Kino

Alltäglicher Irrsinn: Szene aus „Leila’s Brothers“ von R. Saeed Roustaee Foto: Amirhossein Shojaei

Von Thomas Abeltshauser

Das Kino ist, im besten Fall, eine Reise in eine andere Welt, die den eigenen Horizont erweitert und abseits der Leinwand anzutreten kaum möglich wäre. In die raue Einöde Islands am Ende des 19. Jahrhunderts etwa. Dorthin verschlägt es den Protagonisten in Hlynur Pálmasons archaischem Drama „Godland“. Der junge dänische Priester Lucas (Elliott Crosset Hove) soll in einer entlegenen Gegend der Insel eine Kirche bauen, auf dem Weg fotografiert er die Menschen, denen er begegnet. Ein Bildersammler, dessen Glauben und Weltbild durch die Erlebnisse im Unbekannten ins Wanken geraten.

Der Film ist Teil des heute beginnenden Festivals „Around the World in 14 Films“, das sich den Blick in andere Kulturen auf die Fahnen geschrieben hat. „Berliner Festival der Festivals“ nennt sich die Filmschau unter der Doppelleitung von Bernhard Karl und Susanne Bieger. Die von ihnen aus den Festivals in Cannes, Venedig, Locarno und anderswo zusammengetragenen Filme sind allesamt erstmals in der Stadt zu sehen, oft sind es noch Monate bis zum regulären Kinostart der Filme. Einige der Filme haben auch noch gar keinen deutschen Verleih.

Eröffnet wird die 17. Ausgabe heute Abend in der Kulturbrauerei mit dem vielschichtigen Drama „An einen schönen Morgen“. Darin spielt Léa Seydoux eine alleinerziehende junge Frau, die sich um ihren dementen Vater kümmert und einem alten Freund wiederbegegnet, mit dem sie eine Affäre beginnt. Regisseurin Mia Hansen-Løve wird ihren autobiografisch motivierten Film über Abschiede und Neuanfänge persönlich vorstellen, zusammen mit der Patin des Films, der deutschen Regisseurin Julia von Heinz.

Das Prinzip der Patenschaft ist längst eine Tradition des Festivals, jeder Film wird von einer Person der hiesigen Filmszene präsentiert, darunter Nora Fingscheidt („Systemsprenger“) und Burhan Qurbani („Berlin Alexanderplatz“). Das belgische Regiepaar Felix Van Groeningen und Charlotte Vandermeersch kommt persönlich mit dem preisgekrönten Drama „Acht Berge“, das in anmutig-kontemplativen Bildern von einer Männerfreundschaft in den italienischen Alpen erzählt.

Im krassen Gegensatz dazu steht „Rodeo“, in dem die junge Heldin sich in der männerdominierten Welt des Motocross-Rennen durchsetzen will. Auch Lola Quivoron wird für ihr rasantes Debüt anreisen. Und die Ukrainerin Christina Tynkevych kommt mit ihrem Debüt „How Is Katia?“, einem düsteren Drama über eine junge Mutter, deren Tochter von einem Auto angefahren wurde und die gegen alle Widerstände versucht, die Täter zu überführen.

Doch auch ohne Gäste lohnen sich Filme, „Broker“ etwa, die neue Wahlfamiliengeschichte von Hirokazu Koreeda („Shop­lifters“), dem großen Humanisten des japanischen Gegenwartskinos, der diesmal in Südkorea liebenswerte Außenseiter auf Reisen schickt, oder der melodramatische Mysterythriller „Decision to Leave – Die Frau im Nebel“ von Genremeister Park Chan-wook. Vom Rassismus in einem multiethnischen Dorf in Rumänien erzählt Cristian Mungiu in seinem Drama „R.M.N.“ und spiegelt in diesem Mikrokosmos den Zustand des ganzen Landes und dessen soziale, politische und identitäre Konflikte.

Viele gute Filme aus den Festivals Cannes, Venedig, Locarno sind nun in der Stadt zu sehen, oft Monate vor dem regulären Kinostart

Auch zwei deutsche Filmemacherinnen sind mit bemerkenswerten Werken vertreten, die Hamburgerin Helena Wittmann stellt ihre zweite, rätselhafte Regiearbeit „Human Flowers of Flesh“ vor, in der sich eine Frau mit ihrer Segelcrew auf den Spuren der Fremdenlegion durch das Mittelmeer bewegt. Und Sophie Linnenbaum präsentiert ihre überbordende und zitatfreudige Meta-Diskurskomödie „The Ordinaries“ über die Heldinnenreise einer jungen Frau, die als Hauptfigur erst mal die entsprechende Schule besucht.

Längst sind es mehr als die titelgebenden 14 Filme, die als Wettbewerb den Kern des Programms bilden. Angegliedert sind kleinere Nebensektionen, ein Fokus ist dem iranischen Kino gewidmet, das in diesem Jahr besonders beeindruckende Filme hervorgebracht hat. Zwei davon sind in Berlin zu sehen. Der im Juli wegen „Propaganda gegen das Regime“ inhaftierte Regisseur Jafar Panahi erzählt in dem trotz Arbeitsverbots heimlich gedrehten „No Bears“ sehr bewegend und mit lakonischem Witz vom Alltag in einem von Diktatur und Korruption geprägten Land, deren Auswirkungen bis in die kleinsten Dörfer zu spüren sind. Und R. Sayed Roustaee schickt in seinem energiegeladenem „Leila’s Brothers“ eine Familie in den nicht ganz alltäglichen Irrsinn zwischen staatlichen Repressionen und patriarchaler Gesellschaftsordnung.

Zum Abschluss gibt es gleich zwei Crowdpleaser als Doppelschlag: die durchgeknallte Zombiekomödie „Final Cut of the Dead“ aus Frankreich und die verschrobene Kumpelkomödie „The Banshees of Inishirin“ aus Irland. Blutig wird es in beiden Fällen.

„Around the World in 14 Films“, 1.–10. Dezember,www.14films.de

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