orte des wissens
: Ein ferner Garten

Die Spur der botanischen Sammlung von Helmstedt ist in Göttingen überwuchert

Der Göttinger Alte Botanische Garten an der Unteren Karspüle 2 beherbergt auf rund fünf Hektar 12.000 Pflanzenarten. Er ist öffentlich zugänglich, in der Winterzeit bis 1. März täglich von 8bis16 Uhr. Außer dem Farnhaus sind die Gewächshäuser derzeit allerdings wegen Renovierungsarbeiten geschlossen.

Anders als Gartenkunstanlagen sind Botanische Gärten nicht immer standorttreu: Als Gewächssammlung, Saatgut- und Wissensspeicher hat man sie mitunter ganz im Wortsinn verpflanzt. Zum Glück, denn botanische Gärten sind oft und gerade in Zeiten von Energiekrisen in ihrer Existenz bedroht. Sie umzutopfen kann ihre Rettung sein.

Auf diese Weise hat zum Beispiel der älteste Botanische Garten Norddeutschlands die Schließung der Universität Helmstedt 1810 überlebt. Angelegt hatte ihn 1692 der dortige Medizin-Professor Johann Andreas Stisser in Privatregie. Nach seinem Tod war er von der Uni erst erworben, dann wieder abgestoßen und schließlich erneut erworben worden. Als die Academia Julia dann 1810 schloss, wurden die Bestände 150 Kilometer weiter an den südlichen Harzrand transportiert.

In Göttingen hatte schon 1738, also kurz nach der Gründung der Georg-August-Universität der damalige Star-Wissenschaftler Albrecht Haller dort einen „hortus medicus“ angelegt. Dessen Fokus hatte Haller auf die Flora seiner Heimat – er stammte aus der Schweiz – und eben auf die Pflanzen des Harz gelegt.

Der Bau von Orangerie und dem heutigen Cycadeenhaus im Göttinger Alten Botanischen Garten war der Aufnahme der Helmstedter Sammlung nur wenige Jahre vorausgegangen. Ohne ihn und die Erweiterung hätte die Anlage diese Schätze indes kaum aufnehmen können. Schon im 17. Jahrhundert war es ja Stisser gelungen, auch Wilde Veilchenbäume und Yucca-Palmen am Rande des Lappwalds zu züchten. Einen erheblichen Schub hatte seine Anlage dann durch Lorenz Heister bekommen. Der, 1683 geboren, war Pionier einer wissenschaftsbasierten Chirurgie.

Doch sein eigentliches Herzensfach war die Botanik. Sogar seine Professur in Helmstedt ließ er entsprechend umwidmen: Mit Verve stürzte er sich in die Taxonomie-Debatte, also die Suche nach einer Ordnung fürs Natur- und hier Pflanzenreich: Den Stisser-Garten baute er zu einer europaweit beachteten Anlage um, in deren Gewächshäusern auch Ananas und Granatapfel erforscht wurden. In einem buchlangen Lobgedicht erwähnt ein Fan auch Schlangengurken und Kreuzdorngewächse, also Ziziphus, aber möglicherweise ging es bei Letzterem nur darum, etwas mit Z zu haben, um das Alphabet vollzukriegen.

Jedenfalls, Heisters 1748 erschienenes Werk übers System der Pflanzen basierte auf seinen Pflanzungen und Versuchen im Helmstedter botanischen Garten. Es war ein wissenschaftshistorisch wichtiger Schritt: Carl von Linné hat für sein letztlich erfolgreiches Modell von ihm profitiert – aber in seinen Schriften nachweislich alle Verweise auf den Vorgänger getilgt und ausgemerzt, wie Unkraut. Heisters Spuren sind auch im Alten Botanischen Garten zu Göttingen überwuchert und nicht mehr zu erkennen. Noch nicht mal, wenn man weiß, dass es sie gibt. Benno Schirrmeister