: Sind Wahlen eine „Herkulesaufgabe“?
Der Innenausschuss streitet darüber, wie groß der Aufwand einer Wahl in Berlin tatsächlich ist. Dahinter steht auch die Frage, ob der Klima-Volksentscheid parallel stattfinden kann
Von Bert Schulz
Für Stephan Bröchler ist die korrekte Durchführung der Wahlwiederholung am 12. Februar nichts weniger als eine „Herkulesaufgabe“, wie Berlins neuer Landeswahlleiter in der Sondersitzung des Innenausschusses am Montag betont. Schließlich, so sekundiert Innensenatorin Iris Spranger (SPD), habe noch nie in der Bundesrepublik eine Wahl in nur 90 Tagen organisiert werden müssen. Wer an die schallende Ohrfeige in Sachen Wahlvorbereitung denkt, die das Berliner Verfassungsgericht vergangenen Mittwoch der Innenverwaltung unter dem damaligen Senator Andreas Geisel (SPD) verpasst hatte, würde den beiden da wohl recht geben.
Doch was ist in Berlin so außergewöhnlich, dass „wir selbst die grundlegendsten Vorgänge nicht hinbekommen?“, fragt Björn Jotzo (FDP) in die Runde. Schließlich seien Wahlen „keine Raketenwissenschaft und kein außergewöhnlicher Vorgang“ – in Berlin würden sie seit mehr als 100 Jahren organisiert.
Und was die 90 Tage angeht, widersprechen sich Bröchler und Spranger, wenn sie – ebenfalls am Montag – erklären, dass die Vorbereitungen nicht erst am 16. November angefangen hätten, als das Verfassungsgericht seine Entscheidung verkündete, sondern schon länger laufen. Bröchler selbst ist seit 1. Oktober im Amt, Papier und Druckaufträge für die Stimmzettel sind längst eingetütet. Das Budget für die Wiederholungswahl: 39,2 Millionen Euro.
Nicht wenige Abgeordnete vermuten hinter den Behauptungen aus der Innenverwaltung offenbar eine Taktik, den Klima-Volksentscheid nicht am selben Tag wie die Wahl abhalten zu müssen – anders, als es das Abstimmungsgesetz intendiert und eigentlich auch vorschreibt. Es sei „ein Skandal, dass eine solche Idee überhaupt aufkommt“, findet Jotzo. Man müsse dem Senat auf den Weg geben, dass eine Zusammenlegung „die beste Lösung“ sei, meint Niklas Schrader (Linke). Und auch Benedikt Lux (Grüne) hat noch „keine zwingenden Gründe gehört“, warum das nicht gehen solle.
Die Empörung hat sich Spranger selbst zuzuschreiben. Sie hat am 16. November eine Mitteilung herausgegeben, wonach ein Zusammenlegen von Wahl und Entscheid „unwahrscheinlich“ sei. Im Innenausschuss versucht sie nun, sich aus der Schusslinie zu ziehen. Der Senat entscheide als Ganzes, nicht sie und auch nicht die Verkehrssenatorin – eine Anspielung auf die Forderung von Bettina Jarasch beim Grünen-Parteitag. „Selbstverständlich muss der Volksentscheid am 12. Februar stattfinden“, sagte Jarasch da, „wir haben nicht umsonst jahrelang gekämpft, dass die direkte Demokratie gestärkt wird.“
Die Innensenatorin und auch der – unabhängige – Landeswahlleiter betonen, dass ihr Hauptaugenmerk bisher auf der korrekten Durchführung der Wiederholungswahl liege. Man müsse das Vertrauen bei den Berliner*innen wiederherstellen, sagt Bröchler und wiederholt sein Mantra von Wahlen als „Fest der Demokratie“.
Und die Fristen in Sachen Volksentscheid seien sehr knapp: Am 29. November will Bröchler das Ergebnis der Auszählung verkünden. Sollte das Quorum von rund 170.000 gültigen Unterschriften geknackt sein, könnten sich Mitte Dezember Senat und Abgeordnetenhaus mit Termin und Inhalt befassen. Dann blieben noch 15 Tage, um die rund zwei Millionen Stimmzettel zu drucken, bereits am 2. Januar würden die Briefwahlunterlagen verschickt. Das alles sei „ein ganz erhebliches organisatorisches Problem“.
Derweil gibt es gute Nachrichten, was die Zahl der Wahlhelfenden angeht. 42.000 würden benötigt, rund 8.000 mehr als 2021. Laut Bröchler haben sich bereits 26.000 Menschen beworben; ein Bezirk habe bereits angegeben, es hätten sich schon genug gemeldet. Dazu trügen auch die steuerfreien 240 Euro „Erfrischungsgeld“, sprich: Aufwandsentschädigung, bei. Zuvor hatte es 60 Euro gegeben. Bröchler berichtet von Resonanz aus dem ganzen Bundesgebiet: So habe eine 80-jährige Oberstudienrätin aus Stuttgart angeboten, als Wahlhelferin einzuspringen.
Drei Bezirke – Pankow, Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf – hätten schon Bürgerämter geschlossen, weil sie das Personal für die Vorbereitung bräuchten. Laut Spranger erhalten den Bezirken ab Dezember bis zu 180 zusätzliche Mitarbeiter aus einem Personenpool. Die Bezirke würden nicht alleingelassen, so Spranger, weitere Schließungen solle es nicht geben. Das alles deutet darauf hin, dass die Vorbereitungen – gemessen an Berliner Maßstäben – eher besser als schlechter laufen.
Die Initiative Klimaneustart, die die Unterschriftensammung für das Volksbegehren organisiert hat, versucht derweil, den Druck hoch zu halten. Für Dienstagmorgen ruft sie zum Protest vor dem Roten Rathaus auf.
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