Der versalzene Fluss

Die Hafenbetreiber wollen die Weser vertiefen. Die Umweltschäden wären beträchtlich

Das Nordseewasser rauscht bei Flut immer weiter hinein ins Land. Und die Gräbensysteme werden zu Bracken

Aus Bremen Benno Schirrmeister

Schon wieder soll die Weser ausgebaggert werden, um den Fluss für den Lastverkehr zurechtzumachen, die elfte Vertiefung seit 1880. Endlich, würde man sagen, wenn man einer der Hafenbetreiber an der Weser wäre, schließlich war der erste Anlauf vor sechs Jahren krachend vorm Bundesverwaltungsgericht gescheitert.

Ratlos bis verzweifelt klingen hingegen die Umweltverbände, die Menschen, die in der Wesermarsch leben, die Wassersportler*innen, denen die reißende Strömung des einst gemächlichen Flusses inzwischen zu gefährlich ist, und vor allem natürlich die Bauern, deren Weiden versalzen: Um 1880 gab es 60 Kilometer von der Mündung entfernt, in Bremen, einen Tidehub von knapp einem halben Meter, mittlerweile liegt er zwischen 4,20 und 5 Metern.

Heißt: Das Nordseewasser rauscht bei Flut immer weiter hinein ins Land. Und die Gräbensysteme, die hier seit Jahrhunderten das Grünland versorgen und eine Viehhaltung ohne Zäune ermöglichen, werden zu Bracken, versetzt mit toxischen Algen. Kühe sollten besser lernen, das nicht mehr als Tränke zu nutzen.

Nicht einmal die SPD, in Bremen und Bremerhaven eng mit der Hafenwirtschaft verfilzt, steht im Landkreis Wesermarsch noch geschlossen hinter der Vertiefung. Und der Kreistag Wesermarsch hat im Oktober eine Resolution gegen die Pläne beschlossen, auf Betreiben der Mehrheitsgruppe von CDU, FDP und Grünen.

Die Fronten haben sich verändert. Zum Beispiel klingt die Wirtschaft nicht mehr ganz so unisono pro Fahrrinnenanpassung. Auf der linken Weserseite warnen Industrieunternehmen wie der Titandioxidhersteller Kronos, dass infolge der bisherigen Weservertiefungen schon jetzt die Sedimentlast des Flusses so hoch ist, dass regelmäßig der Anleger ihrer Fabrik verschlickt, was erhebliche Spülungskosten verursacht. Ob der Mutterkonzern in Dallas dem lange zuschauen wird?

Das Vorhaben aber ist noch immer dasselbe: Die Fahrrinne der Außenweser soll so weit ausgebaggert werden, dass Schiffe mit einem Tiefgang von 13,50 Metern die Containerterminals in Bremerhaven ansteuern können. Und den Privathafen von Johann Müller in Brake an der Unterweser, wo vor allem Futtermittel für die industrielle Tierhaltung und Palmöl gelöscht werden, sollen immerhin noch Schiffe der Panmax-Klasse anlaufen können, damit es sich lohnt. Die brauchen aber Platz für einen Ablade-Tiefgang von 12,80 Meter, also exakt dieselben Werte, die auch in den alten Unterlagen standen.

Mit einem aufsehenerregenden Urteil hatte das Bundesverwaltungsgericht das Vorhaben am 15. August 2016 kassiert: „Der Planfeststellungsbeschluss“, so befand der Siebte Senat, „ist rechtswidrig und darf nicht vollzogen werden.“ Erlassen worden war er fünf Jahre zuvor von der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt. Gebastelt wurde an ihm schon, als Gerd Schröder noch Ministerpräsident von Niedersachsen und Hoffnungsträger der SPD war.

In der revidierten Neuauflage der Weservertiefung sind zahlreiche Seiten umwelttechnischer Prosa hinzugekommen. Dramatisch verändert hat sich aber vor allem der Rechtsrahmen: Statt das bewährte rechtsstaatliche Planungsverfahren zu durchlaufen, ist das Vorhaben in das im Hause des damaligen Verkehrsministers Andreas Scheuer (CSU) erdachte Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz eingetragen worden, in dem Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen stehen, die der Bund unbedingt realisieren will.

Gegen das hat im Juni 2021 die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren eröffnet: Sie sieht darin den Anspruch auf rechtliches Gehör eingeschränkt. Um sich gegen ein Bundesgesetz zu wehren, müsste man ja vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Für Privatpersonen sei das schwierig.

Einer der Kläger war damals Landwirt Leenert Cornelius aus der Wesermarsch. „Natürlich würde ich auch versuchen, vors Verfassungsgericht zu ziehen“, sagt er. Doch ob seine Klage zugelassen wird, ist eben die Frage.

Anders als im Alten Land, der historischen Obstbau-Kulturlandschaft auf der Südseite der Elbe, sind Ausgleichsmaßnahmen an der Unterweser nie realisiert worden. Es gibt ein pompös „Generalplan Weser“ betiteltes Konzept, doch die darin skizzierte Lösung, das Flusswasser schon weiter flussaufwärts bei Käseburg in die Gräben einzuleiten, ist nicht mehr sinnvoll: Die Brackwasser-Zone hat sich flussaufwärts ausgedehnt und ist in Käseburg angekommen.