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„Ich habe mir so große Hoffnungen gemacht“

Sie haben studiert, leiteten ganze Abteilungen, überwanden Grenzen und kulturelle Unterschiede, erlernten neue Sprachen und neue Berufe – doch eine Chance bekommen sie hier nicht: Flüchtlingsfrauen. Drei Frauen berichten, wie sie, einmal in Berlin angekommen, langsam aufhören, an sich zu glauben

Pavka Draganovic

Die aus Bosnien stammende kroatische Gymnasiallehrerin wurde 1961 im Ort Orasje, im nordbosnischen Grenzgebiet Exjugoslawiens, geboren. Seit 1993 lebt sie, inzwischen mit einer Tochter, in Wilmersdorf.

„Ich habe in Sarajevo studiert und wurde dort Geografielehrerin. Meine Arbeit habe ich sehr geliebt – bis der Krieg kam und alles kaputt gemacht hat, auch mein Leben. Schon im Krieg fühlte ich mich so nutzlos, das hat sich in Berlin nicht geändert.

Hierher kam ich 1993 als Flüchtling. Erst ging alles ganz schnell, ich verliebte mich in einen Kroaten, 1994 kam meine Tochter zur Welt. Sie ist der Grund, warum ich noch hier bin. Denn eigentlich habe ich großes Heimweh und würde gerne zurückgehen.

Acht Jahre lang bekam ich nur eine Duldung zugesprochen. Das ist etwas so Schreckliches: Dieser psychische Druck, alle sechs Monate zur Ausländerbehörde zu müssen. Zwar verstehe ich, dass hier viele Leute aus Exjugoslawien versorgt werden müssen, aber ich frage mich, warum Deutschland uns erst aufnimmt, um uns dann auf den Ämtern so schlecht zu behandeln.

Als ich ankam, steckte man mich nach Ransdorf. Später landete ich mit meinem Baby im Mutter-Kind-Haus in Wilmersdorf. Von meinem Mann hatte ich mich schon wieder getrennt. Da ging’s mir zum ersten Mal gut, weil endlich mal jemand fragte, wie es mir eigentlich geht.

Als meine Tochter zwei wurde, bekam ich eine bezirkseigene Wohnung in Wilmersdorf zugewiesen. Das war eine Wohltat. Jetzt wird das Haus verkauft – und alles ist wieder ungewiss.

Zum zweiten Mal schon erhielt ich jetzt lediglich eine Aufenthaltsbefugnis. Ich warte ohnehin täglich darauf, abgeschoben zu werden. Erst durfte ich acht Jahre lang überhaupt nicht arbeiten, dann hieß es plötzlich: ‚Sie müssen jetzt aber endlich arbeiten.‘ In der Zeit des Wartens habe ich auf eigene Faust Deutschkurse besucht, manche Kurse musste ich selbst bezahlen, andere zahlte die Behörde, es war ein Hin und Her. Seitdem ich eine Arbeitserlaubnis habe, putze ich in einem Büro. Ich habe mich zudem zehn Monate lang zur Gemeindedolmetscherin qualifiziert. Ab und zu werde ich dort gebraucht, um für Landsleute auf Honorarbasis im Krankenhaus oder bei Ämtern zu übersetzen.

Ich lebe mit meiner Tochter vom Arbeitslosengeld II, mit Wohngeld kommen wir auf 800 Euro plus Kindergeld. Zwar habe ich mein jugoslawisches Lehrerinnendiplom beim Senat anerkennen lassen, denn am liebsten würde ich wieder als Lehrerin arbeiten. Dazu müsste ich jedoch das Staatsexamen wiederholen und ein Referendariat machen. Das würde ich sogar tun, wenn ich das Geld zum Studium hätte und es danach realistische Aussichten gäbe.“

Aberash Wolansa

Die studierte Agrarwissenschaftlerin wurde 1962 in der äthiopischen Provinz geboren. Heute lebt die 43-Jährige mit Mann und Tochter in Schöneberg.

„Ich habe mich auf Tierproduktion spezialisiert und arbeitete sechs Jahre lang im Agrarministerium in Addis Abeba. Dann erhielt ich von unserer Regierung ein Stipendium für Schottland, wo ich ab 1995 meinen Masters in Agrarwissenschaften machte. Mein Mann studierte ebenfalls Agrarwissenschaften, aber an der Humboldt-Universität in Berlin. Mit einem DAAD-Stipendium konnte er promovieren. Ende 1995 zog ich zu ihm.

Zunächst erhielt ich nur Duldungen, dann immer wieder eine auf zwei Jahre befristete Aufenthaltsbefugnis. Man sagte mir, ich muss sechs Jahre warten, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Als die vorbei waren, sagte man mir, meine Masters-Diplome seien wertlos, da ich so lange nicht in meinem Fach gearbeitet habe. Ich habe in der Zwischenzeit noch eine Tochter bekommen und Deutsch gelernt. Vergeblich habe ich versucht, unseren Sohn nachkommen zu lassen. Seit sieben Jahren habe ich ihn nicht mehr gesehen.

Zunächst konnten wir vom DAAD-Stipendium meines Mannes leben. Nach dem Stipendium absolvierte er noch einen Kurs als Programmierer, damit bekam er einen auf ein Jahr befristeten Job – seitdem ist er arbeitslos. Heute leben wir von seinem Arbeitslosengeld I. Mein Mann bewirbt sich auf alle Jobs, die ihm das Arbeitsamt anbietet, aber er wird stets abgelehnt.

Ich hatte nach langer Suche kürzlich einen Job in der RBB-Kantine gefunden, an der Kasse. Aber nach zwei Tagen sagte man mir, ich sei nicht gut: zu langsam. Man gab mir 50 Euro und schickte mich weg. Ich war aber gar nicht langsam, es waren nur kaum Gäste in der Kantine.

Um etwas Sinnvolles zu machen, engagiere ich mich ehrenamtlich bei der Ethiopian Cultural Organisation, wo ich Kindern Nachhilfe unter anderem in Mathematik gebe. Wenn die Arbeitgeber eine farbige Frau sehen, dann glauben sie meist, „die kann nichts“. Eine Lehrerin, mit der ich zu tun hatte, war erstaunt über meine schnelle Auffassungsgabe. Sie sagte allen Ernstes, dass afrikanische Frauen doch Analphabeten seien.

Meine Erfahrungen mit dem Sozialamt sind schlecht. Eine Sachbearbeiterin sagte mir, ich solle doch nach Hause gehen, ich sei eine Last für Deutschland. Sie strich mir 33 Prozent meines Geldes, weil sie mir unterstellte, dass ich nicht arbeiten will. Dabei möchte ich nichts lieber als das. Ich bekomme jetzt nur noch 170 Euro Sozialhilfe. Ich kann gar nicht nach Hause zurück, mein Mann ist Diabetiker und angewiesen auf die medizinische Versorgung hier. Wenn ich Muße habe, schreibe ich an einem Roman, vielleicht wird der ja mal fertig.“

Haza Taib Mohammed

1962 als irakische Kurdin in Bagdad geboren, studierte Haza Taib Mohammed dort Agrarwissenschaften. Sie arbeitete 17 Jahre lang am staatlichen Bodenforschungsinstitut, wo sie schließlich Abteilungsleiterin wurde. 1999 floh sie aus dem Irak.

„Wir waren eine politisch aktive Familie. Deshalb wurden Ende der 90er-Jahre mein Vater und mein Schwager von Saddam Hussein verhaftet. Ich lebte in dieser Zeit allein mit meiner Schwester in unserer Bagdader Wohnung. Öfter kamen Sicherheitsleute und bedrohten uns. Wir beide reisten schließlich mit Hilfe vonFluchthelfern über die Türkei illegal aus. Eigentlich wollten wir zu unserer Schwester in die USA, aber die Fluchthelferbrachten uns nach Halberstadt. Dort stellten wir im Erstaufnahmelager unseren Asylantrag und wurden anerkannt.

Man schickte uns dann in das Flüchtlingswohnheim in Halle, wo wir drei Jahre blieben. Zwei Jahre lang bekam ich keine Deutschkurse finanziert. Da habe ich eben alleine gelernt. Erst im dritten Jahr, nach vielen Kämpfen mit den Behörden, durfte ich einen dreimonatigen Deutschkurs machen. Eine Lehrerin konnte mir schließlich eine gemeinnützige Arbeit in einer Schulbibliothek vermitteln, die ich zehn Monate lang machen durfte. Ich bekam 3 Mark pro Stunde, um Buchtitel in den Computer einzugeben. Meine Schwester, die Biologin ist, durfte nur in einer Kita kochen.

Glücklicherweise bekam ich später einen Job am Bodeninstitut der Technischen Universität, finanziert vom Europäischen Sozialfonds. Da verdiente ich 730 Mark im Monat, leider nur ein Jahr lang. Seit 2003 suche ich neue Arbeit. Im Februar vergangenen Jahres habe ich zudem eine einjährige Umschulung zur Bürofachkraft abgeschlossen – aber dennoch nichts finden können, obwohl ich mir große Hoffnungen gemacht hatte.

Ich lebe alleine, in einer eigenen Wohnung, seit Mai beziehe ich nun Hartz IV. Auf den Ämtern bekommt man kaum Hilfe. Zum Glück gibt es die Arbeiterwohlfahrt. Die AWO-Mitarbeiterinnen in Kreuzberg helfen mir sehr, bei Bewerbungen und bei der Jobsuche. Ich engagiere mich im Vorstand des irakischen Kulturvereins Al-Rafidein in Neukölln, da fühle ich mich aufgehoben.

Zurück in meine Heimat kann ich nicht mehr, denn ich bin eine allein stehende Frau ohne Verwandte, bei denen ich leben könnte. Mein Vater ist verschollen, meine Schwester und ihr Mann, der 2003 aus der Gefangenschaft freikam, leben mit ihren Kindern hier in Berlin.

Zukunftspläne? Ich traue mich gar nicht mehr, Pläne zu schmieden. Kaum habe ich welche, kommt wieder etwas dazwischen. Mein Beruf hat mir richtig Spaß gemacht, und am liebsten würde ich wieder als Agraringenieurin arbeiten, aber, Hauptsache Arbeit.“ PROTOKOLL: AW

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