Europas Studentenwerke fordern sozialen Bologna-Prozess

Wer vom akademischen Euroraum spricht, meint Bachelor und Master. Den Sozialwerken für Studierende ist das zu wenig. Sie wollen Mobilität durch Stipendien garantieren

Träge wirkt die Stadt mit ihren schmalen Gassen und dem Kopfsteinpflaster. Doch ihr Name erzählt von der Zukunft: Bologna ist das Synonym für eine schöne neue Hochschulwelt. Europäische Bildungsminister aller Couleur träumen vom einheitlichen europäischen Wissensraum. Bachelor und Master heißen seine Pole. Mit diesen neuen Abschlüssen sollen Studienleistungen europaweit vergleichbar werden. Und die Mobilität der Studierenden steigen. Ein Auslandssemester an der Pariser Sorbonne – künftig kein Problem.

So einfach aber ist es nicht, das zeigt der aktuelle Eurostudent Report. Die Studie untersucht die Lebensbedingungen der Studierenden in elf europäischen Ländern. Und macht deutlich: Mit den neuen Abschlüssen allein ist es längst nicht getan. „Der Erfolg des Bologna-Prozesses hängt ganz wesentlich davon ab, ob die Studienfinanzierung gesichert ist, ob es bezahlbare Wohnungen gibt oder ob man problemlos eine Aufenthaltsgenehmigung bekommt“, sagt Achim Meyer auf der Heyde, Präsident des European Council for Student Affairs (ECStA).

Die im ECStA vereinten Studentenwerke Europas berichten neuerdings regelmäßig über die wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen der Studierenden. Konkrete Daten liefert der Eurostudent Report für Österreich, Deutschland, Frankreich, Finnland, Irland, Italien, Lettland, Portugal, Spanien, Holland und Großbritannien.

Gerade die neuen Beitrittsländer profitieren nur dann von einem europäischen Hochschulraum, wenn auch soziale Aspekte beachtet werden. In Lettland etwa müssen Studierende im Durchschnitt von 217 Euro einen Monat lang leben, deutsche Studenten haben gut 500 Euro mehr in der Tasche.

In Lettland selbst ist das geringe Einkommen kein Problem. Aber mobil ist man damit nicht. „Die Unterschiede sind hier viel größer als bei den Studienstrukturen“, sagt Klaus Schnitzer vom Hochschul-Informations-System (HIS), das den Report koordiniert hat. Bezahlt wird er vom Bundesbildungsministerium und der EU-Kommission.

Bildungspolitiker diskutieren freilich mehr über Studieninhalte als über die sozialen Rahmenbedingungen. „Die soziale Lage muss endlich beachtet werden“, sagt Meyer von der Heyde. Sonst drohe europaweit, was bis heute in Deutschland für den Uni-Zugang gilt: Gute Chancen hat der, der aus einer bildungsnahen und finanziell abgesicherten Familie kommt.

Deutlich mehr als 50 Prozent aller Studierenden arbeiten während des Semesters, in Deutschland sind es 66 Prozent. Wer an eine Partneruniversität geht, muss meist den Job kündigen, jobben im Ausland aber ist nicht einfach, der bürokratische Dschungel oft unübersichtlich. Nur die Studienabschlüsse zu vereinheitlichen, das ist dem European Council zu wenig. Damit auch die soziale Dimension beachtet wird, will der Verband von den Bildungsministern neben den Hochschulen und Studierenden endlich als dritter Partner anerkannt werden. Die Studentenwerke sind zuständig für die Unterbringung und Verpflegung. Für billiges Essen in der Mensa und genügend Wohnheimplätze wollen sie kämpfen. Und dafür, dass auch bestehende Strukturen überdacht werden, etwa das Austauschprogramm Erasmus.

81 Prozent der spanischen Studenten finanzieren beispielsweise ihren Auslandsaufenthalt privat – Kinder aus Arbeiterfamilien sind die Leidtragenden. Bildungspolitiker verweisen dann gern auf Förderprogramme wie Erasmus. „Hier bekommen aber alle gleich viel Geld und es stellt sich die Frage, ob nicht lieber bedarfsabhängig gefördert werden sollte“, sagt Meyer auf der Heyde.

Letztlich geht es aber weder dem Zusammenschluss der Studentenwerke noch den HIS-Forschern darum, konkrete Forderungen aus dem Eurostudent Report abzuleiten. „Wir liefern die Daten. Jetzt müssen die Politiker daraus ihre Schlüsse ziehen“, sagt Klaus Schnitzer.

Das nächste Bologna-Folgetreffen ist in zwei Jahren in London. Dann würde Klaus Schnitzer den Politikern gern vergleichende Daten für den Großteil der Bologna-Staaten vorlegen. Damit noch genug Zeit bleibt bis 2010, dem Jahr, ab dem die Abschlüsse Bachelor und Master europaweit einheitlich sein sollen. MADLEN OTTENSCHLÄGER