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: „Gehen ist das neue Nichtrauchen“

Der Spaziergangsforscher Bertram Weisshaar spricht über die Vorzüge des Fußverkehrs

Onlinevortrag „Füße vor! Wie gute Fußwege glücklich machen“ von Bertram Weisshaar im Rahmen der Reihe „Lüneburg mobil 2030“: heute, 19 Uhr, kostenloser Zugang über Zoom: https://t1p.de/g909y

Interview Matthias Propach

taz: Herr Weisshaar, was ist das Besondere am Spazierengehen?

Bertram Weisshaar: Das Besondere am Spazierengehen ist, dass wir draußen mit allen Sinnen in der Welt sind und uns mit unseren eigenen Beinen selbstständig fortbewegen, ohne dass wir irgendein Zeug dafür benötigen.

Wie sind Sie zu dem Thema gekommen?

Ich hatte in Kassel Stadt- und Landschaftsplanung studiert. Da spielt Mobilität und Straßengestaltung eine wichtige Rolle. Damals gab es auch ein Seminar über die Spaziergangswissenschaft von Lucius Burckhardt. Das war damals eine wichtige Inspiration.

Was passiert mit uns beim Spazierengehen?

Man lässt den Schreibtisch hinter sich oder die wirtschaftlichen Tätigkeiten. Man nimmt sich eine Auszeit von den sonstigen Verpflichtungen des Tages. Man kann während des Spazierens nicht arbeiten, aber man kann verarbeiten, den Kopf frei kriegen. Während des ersten Lockdowns war das Land ein Land der Geher und Denker.

Mit was setzt sich die Spaziergangsforschung auseinander?

Im Kern fragt sie danach, wie wir die Welt erfahren und wahrnehmen und begreifen, wenn wir sie zu Fuß erleben, anstatt in einem Fahrzeug. Es geht dabei auch um die Perspektive der alleinerziehenden Eltern mit Kinderwagen und einem zweiten Kind an der Hand, Menschen mit Mobilitätseinschränkungen oder Senioren, die einfach langsamer in ihren Reaktionen sind, aber an den Ampeln mit derselben Grünphase konfrontiert werden.

Foto: Thomas Eichler

Bertram Weisshaar

geboren 1962, studierte Landschaftsplanung und forscht seit 25 Jahren über das Spazierengehen.

Wie steht es um den Spaziergänger in den deutschen Städten?

Es wird besser. Zum einen gab es Anfang diesen Jahres eine Umfrage der Versicherung DKV. Da war die Aussage, dass weit über 50 Prozent der Befragten angeben, mehr Wege zu Fuß zu absolvieren als noch 2019. Jahrzehnte war das Radfahren der leuchtende Stern, der alles überstrahlt hat. Mehr und mehr wird begriffen, dass eigentlich das Gehen das neue Nichtrauchen ist.

Wird in der Mobilitätswende der Spaziergänger genug beachtet?

Bei Weitem nicht, aber immerhin: Es ist der erste Koalitionsvertrag, in dem überhaupt mal das Wort „Fußverkehr“ als Forderung gefallen ist. Ein paar zentrale Punkte sind beispielsweise, den Kommunen mehr Freiheit zu geben, Tempo 30 anzuordnen, es zu erleichtern, Fußgängerüberwege anzuordnen oder Gehwege zu verbreitern.