Gottes Königsmacher in den Philippinen

Mit Kardinal Sin starb Asiens einflussreichster Kirchenführer. Er spielte eine Schlüsselrolle beim Sturz der Diktatur

BERLIN taz ■ „Welcome to the House of Sin“ – „Willkommen im Haus der Sünde“. Mit diesen Worten empfing Manilas humorvoller Kardinal Jaime Sin Besucher. Entgegen seinen Erwartungen war er trotz seines Namens als 14. von 16. Kindern eines chinesisch-philippinischen Paares 1976 Kardinal in den Philippinen geworden, Asiens einzigem Land mit überwiegend katholischer Bevölkerung. Recht behalten sollte Sin damit, dass es zum Papst nicht reichen würde, wie in den 90er-Jahren immer wieder in Manilas Presse spekuliert worden war.

Gestern früh starb Sin im Alter von 76 in Manila an multiplem Organversagen und überlebte damit Johannes Paul II. nur um Wochen. An der Wahl von dessen Nachfolger in Rom konnte Sin aus Gesundheitsgründen schon nicht mehr teilnehmen.

Wie der erzkonservative Karol Wojtyła eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Kommunismus in Polen spielte, so war Sin die Schlüsselfigur beim Sturz des Diktators Ferdinand Marcos in Manila. Dabei hatte er dem Diktator lange die Stange gehalten und nur „Auswüchse“ des Regimes kritisiert. Regelmäßig zelebrierte er für Marcos Messen. Doch Sin sah mit Sorge, wie Marcos das Land polarisierte und damit linke, radikale Kräfte stärkte. Selbst in der Kirche nahmen die Anhänger der Befreiungstheologie zu, gegen die sich Sin explizit aussprach.

So begann er nach der Ermordung des Oppositionsführers Benigno Aquino durch Schergen des Regimes mit dessen Witwe Corazon eine bürgerlicher Alternative aufzubauen. Als sich im Februar 1986 nach gefälschten Wahlen hohe Militärs von Marcos lossagten und in ihrem Quartier verschanzten, rief Sin über den katholischen Rundfunk hunderttausende Menschen, die sich Marcos’ Truppen friedlich in den Weg stellten und den Diktator zum Abdanken zwangen.

Als Vater von „People Power“ war Sin fortan der einflussreichste „Politiker“ außerhalb der Regierung. Doch auch seine Macht war begrenzt. Gegen seinen Willen erkor Präsidentin Corazon Aquino den Protestanten Fidel Ramos zu ihrem Nachfolger. Der war mal Marcos’ Polizeichef gewesen und hatte einen Haftbefehl auf Sin ausgestellt, als man dem Kardinal was anhängen wollte. Unter Ramos wurde Sin zum inoffiziellen Oppositionsführer, der erfolglos hunderttausende Katholiken gegen dessen – äußerst moderate – Bevölkerungspolitik auf die Straße trieb.

Sin verteidigte seine Einmischung in die Politik, doch sein Einfluss schwand. Ein kurzes Comeback erlebte er im Januar 2001, als er erneut mit hunderttausenden Demonstranten einen in Ungnade gefallenen Präsidenten aus dem Amt jagte – den Exschauspieler und Schürzenjäger Joseph Estrada. Als sich Sin 2003 von seinen Ämtern zurückzog, sagte er, seine Pflicht wäre gewesen, Christus in die Politik zu bringen: „Politik ohne Christus ist die größte Plage unserer Nation.“ SVEN HANSEN