orte des wissens
: Das Dach der Welt

Die Oldenburger Forschungsstelle Kinder- und Jugendliteratur organisiert das Zusammenspiel vieler Disziplinen. Ihr Gegenstand erfordert das

Ein eigenes Gebäude hat die Forschungsstelle nicht. Aber eine erhebliche materielle Basis

Jetzt gibt’s bald wieder farbenfrohe Neuheiten für die Uni-Bibliothek in Oldenburg: Bei der „Kibum“ werden dort vom 12. bis 22. November die einschlägigen Verlage ihr Programm präsentieren, also bei der Kinderbuch-Messe, die seit 1975 von Uni und Volkshochschule veranstaltet wird.

Die „Kibum“ ist eine reine Publikumsmesse. Es geht also nicht um Vertragsabschlüsse, sondern darum, die ganze Breite des Segments auszuspielen, zugänglich zu machen – und eben auch wissenschaftlich zu befragen: Die pädagogischen, gestalterischen und ästhetisch-literarischen Themen, die von diesem Segment aufgeworfen werden, waren ab 1979 Gegenstand von Begleit-Ausstellungen, kuratiert von Bibliotheks- und Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­le­r*in­nen – Studierende inklusive.

Aus diesen Teams heraus kam es 1997 zur Gründung der Oldenburger Forschungsstelle Kinder- und Jugendliteratur (Olfoki). Damit war die wissenschaftliche Begleitung der „Kibum“ institutionell verankert. Und außerdem war ein Label geschaffen, unter dem Forschungsergebnisse sichtbar gemacht werden können. Vergangenes Jahr erstmals verliehen worden ist der Olfoki-Preis für herausragende Abschlussarbeiten auf dem Forschungsgebiet der Kinderliteratur.

Ein eigenes Gebäude hat sie nicht. Aber eine erhebliche materielle Basis hat die Olfoki schon: Die „Kibum“-Exponate bereichern, als nicht entleihbare Sondersammlung, den Bestand der Uni-Bibliothek, sortiert nach Eingang, sodass man einen Überblick über die Produktion der jeweiligen Jahre hat. „Das ist natürlich keine lückenlose Sammlung“, sagt Olfoki-Direktor Thomas Boyken, Professor für Literaturwissenschaft, „aber sicher ein repräsentativer Querschnitt“.

Wenige Bücher prägen ja nachhaltiger als die ersten. Trotzdem ist die akademische Beschäftigung mit Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland lange vernachlässigt worden: Das erste einschlägige Uni-Institut in Deutschland wurde 1963 in Frankfurt am Main gegründet, ein zweites in Köln zehn Jahre später.

In Oldenburg war bereits bei der Umwandlung der Pädagogischen Hochschule in die Carl-von-Ossietzky-Universität 1973 die Erforschung von Jugendliteratur als wichtiges Desiderat erkannt worden, in der Tradition stehen „Kibum“ wie Olfoki: „In Kinderliteratur wird verhandelt, was ein wichtiger Bezugsrahmen unserer Gesellschaft ist, ihre Normen, ihre Ethik“, sagt Boyken. „Kinderliteratur transportiert geteilte Wertvorstellungen.“ Ein Beleg für diese Funktion sind die Debatten, die ausbrechen, etwa weil der unreflektierte oder sogar erwünschte Rassismus der Entstehungszeit mancher Werke heutigen Menschen unerträglich geworden ist.

Einen spezifischen Zugang erfordert Kinderliteratur aber vor allem, „weil sie so stark in Medienverbünden organisiert ist“, sagt Boyken. Sprich: Sie findet auch jenseits von Buchdeckeln statt. Mitzudenken sind Illustrationen, Hörbücher oder Entwicklungen wie Ravenburgers interaktive Tiptoi-Bücher, bei denen das Berühren gechippter Bilder per Sensor-Stick dafür sorgt, dass Audiodateien abgespielt werden. Man kann also elektrotechnisch, soziologisch, kunst- und musikhistorisch, medien- und erzähltheoretisch ansetzen.

Auch didaktische Fragestellungen spielen eine Rolle, „denn Kinderbüchern wird die Aufgabe zugewiesen zu belehren“, so Boyken. Und weil, anders als in der traditionellen Literaturwissenschaft, der Sachbuchbereich selbstverständlich einbezogen wird, erfordert die Diskussion der Inhalte oft naturwissenschaftliche Kenntnisse. Kinder- und Jugendliteratur sei insofern „ein Querschnittsbereich, in dem sehr unterschiedliche Disziplinen zusammenkommen“, so Boyken. Ein Gemisch, bunt wie die Welt. Diesem interdisziplinären Austausch diene das Olfoki satzungsgemäß „als eine Art Dach“, sagt er. Benno Schirrmeister