EU-Chaos irritiert Kandidaten
: Kroatien: Vorsichtig optimistisch
VON ERICH RATHFELDER

Ein bisschen gezwungen war das Lächeln des kroatischen Ministerpräsidenten Ivo Sanader, als er nach all dem Hickhack in Brüssel nach den Aussichten Kroatiens gefragt wurde, doch noch in die EU aufgenommen zu werden. Er sei und bleibe Optimist, sagte er. Doch es war ihm anzumerken, wie stark die neueste Entwicklung in der EU an seinen Nerven zehrt. Denn Ivo Sanader, Vorsitzender der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) hat in seiner Partei schwer kämpfen müssen, um seinem Land die Perspektive EU zu öffnen. Mit der im Volk populären Aussicht auf den EU-Beitritt hat er die nationalistisch-konservativen Kräfte in seiner Partei zurückgedrängt. Sollte die EU die Verhandlungen weiter hinauszögern, würden die sich wieder regen.

Doch noch ist nicht aller Tage Abend. Die EU will in drei bis vier Monaten entscheiden, ob sie die im März auf Eis gelegten Beitrittsverhandlungen mit Kroatien wieder aufnehmen will. Voraussetzung dafür ist aber, dass in Bezug auf den vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gesuchten Exgeneral Ante Gotovina neue Fakten geschaffen werden. Zwar verweist Zagreb darauf, dass der Ex-Fremdenlegionär Gotovina mit seinem 2001 von Frankreich ausgestellten Pass sich überall auf der Welt aufhalten kann, doch die Vermutung Den Haags, Gotovina hätte nach wie vor große Unterstützung im Militär und dem Geheimdienstapparat, ist ebenfalls nicht aus der Luft gegriffen. Die vom Präsidenten Stipe Mesić geforderte Reform dieser Apparate muss die Regierung anpacken, das ist die eigentliche Bedingung hinter der Gotovina-Debatte.

Sorgen muss sich Sanader auch um die weitere Unterstützung der europäischen Volksparteien. Die waren bisher die größten Fürsprecher für den Eintritt Kroatiens in die EU. Doch seit sie ihren Kurs auf Erweiterung der EU geändert haben, droht ein Bein für die Unterstützung des Landes wegzubrechen. In der Brüsseler Bürokratie dagegen gelten nach wie vor die Pluspunkte für Kroatien: Die Wirtschaft wächst um durchschnittlich 3 bis 4 Prozent jährlich, und das demokratische System steht auf sicherem Fundament. Das Land trat der Nato-Struktur „Partnerschaft für den Frieden“ bei und kann bald mit der Nato-Mitgliedschaft rechnen. Einig sind sich die Beobachter aus Brüssel auch darin, dass die kroatische Führung sich bemüht, auf dem Wege zum Rechtsstaat voranzukommen. Das Parlament hat über 90 Prozent der so genannten Road Map abgearbeitet, loben sie. Sollten Den Haag und Brüssel positiv entscheiden, könnte 2009 mit dem Beitritt Kroatiens gerechnet werden. Doch wer kann in Brüssel jetzt noch Garantien geben? Diese Frage treibt Sanader Sorgenfalten auf die Stirn.

Rumänien: Vom Beitritt profitieren alle
VON KENO VERSECK

Nach dem Scheitern des EU-Gipfels gab sich der rumänische Staatspräsident großzügig. „Unsere Priorität sind nicht 2 Milliarden Euro Beihilfen mehr oder weniger“, verkündete Traian Basescu am Montag vor dem französisch-rumänischen Wirtschafts- und Unternehmerforum in Bukarest. „Viel wichtiger und grundlegender für die Entwicklung Rumäniens ist, dass wir ein unternehmerfreundliches Klima schaffen.“

2 Milliarden Euro sind viel Geld für ein Land, das zu den ärmsten in Europa zählt. Doch Basescus Angebot, auf einen Teil der EU-Hilfsgelder zu verzichten, ist der Versuch, den EU-Kandidaten Rumänien zu retten, was zu retten ist.

Rumänien soll zum Januar 2007 EU-Mitglied werden, der Beitrittsvertrag wurde im April unterzeichnet. Aus dem EU-Haushalt 2007–2013 könnte das Land bis zu 30 Milliarden Euro Beihilfen erhalten – eine der größten Summen für ein einzelnes Mitgliedsland.

In der EU mehren sich jedoch die Stimmen, die für eine Verschiebung des rumänischen Beitritts um mindestens ein Jahr plädieren. Denn das Land ist derzeit längst noch nicht EU-kompatibel, wie selbst rumänische Politiker zugeben müssen. Während die Staats- und Verwaltungsmaschinerie derzeit auf Hochtouren läuft, um die Beitrittskriterien doch noch zu erfüllen, ist der Rumänien-Skeptizismus seit Wochen nahezu täglich Aufmacher in den Medien – selbst dann, wenn es sich um leichtgewichtige Erklärungen von Hinterbänklern aus dem EU-Parlament handelt. In der Gesellschaft wächst der Frust über die ewige Nörgelei an Rumänien – und überhaupt der Skeptizismus gegenüber einem bürokratischen, saturiert-selbstgerechtem EU-Europa. Letzten Herbst sprachen sich in Meinungsumfragen noch 74 Prozent der Rumänen für den EU-Beitritt ihres Landes aus, Ende Mai dieses Jahres war die Zahl der Befürworter auf 48 Prozent gesunken.

So konnte sich denn auch der rumänische Staatspräsident auf dem französisch-rumänischen Wirtschaftsforum eine Polemik nicht verkneifen. „Die westeuropäischen Politiker erzählen ihren Wählern ständig, wie viel Hilfe sie in Osteuropa leisten“, so Basescu, „aber sie vergessen zu erwähnen, welche Vorteile der Erweiterungsprozess ihren Ländern gebracht hat.“ Den Geschäftsleuten riet Basescu: „Schauen Sie sich einfach unsere Straßen und Supermärkte an! Auf den Straßen fahren Autos aus EU-Produktion, und in den Geschäften sind fünfzig Prozent der Waren EU-Importe.“

Bulgarien: Es hängt nur von uns ab
VON BARBARA OERTEL

Unter der Überschrift „ Giscard d’Estaing: Frankreich ist schuld an der Krise in der EU. Die neuen Mitglieder kritisieren Blair wegen seines Egoismus“, informierte die bulgarische Tageszeitung Standard gestern über den aktuellen Diskussionsstand in Brüssel. Auf derselben Seite vermeldete das Blatt, EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn habe sich optimistisch über die Chancen Bulgariens geäußert, zum geplanten Termin am 1. Januar 2007 Mitglied der Europäischen Union zu werden. Für die meisten Bulgaren ist die EU-Krise kein Thema. Die vorherrschende Meinung: Der Beitritt kommt in jedem Fall. Sollte er sich um ein Jahr verzögern, könne es allenfalls an Bulgarien selbst liegen.

„Mit dem, was jetzt in Brüssel nach den gescheiterten Referenden passiert, hat Bulgarien nichts zu tun. Wir müssen jetzt alle Anstrengungen auf weitere Reformen richten, um Anfang 2007 auch wirklich reif für einen Beitritt zu sein“, sagt der Politologe Boris Popivanov. Und daran hat der eine oder andere noch erhebliche Zweifel. „Natürlich will ich, dass Bulgarien Mitglied der EU wird, denn wir gehören zu Europa“, sagt eine Frau, die sich gerade im Zentrum Sofias ein Europa-Fähnchen gekauft hat. „Aber ich bin gegen einen planmäßigen Beitritt um jeden Preis. Europa muss seine Werte schützen können Und wir brauchen erst mal höhere Löhne, um dann auch würdig beitreten zu können.“

Die Frage nach Bulgariens Beitrittsreife dürfte wohl auch die Politiker umtreiben, doch das Thema wird wohlweislich ausgespart. Am Sonnabend wird in Bulgarien ein neues Parlament gewählt. Erstmals kämpft mit Ataka auch eine extrem nationalistische Partei um den Einzug ins Parlament. Unter dem Motto „Geben wir Bulgarien den Bulgaren zurück“ fordert die Partei unter anderem, bestimmte Kapitel des EU-Beitrittsvertrages neu zu verhandeln. Das Thema EU werde im Wahlkampf von den etablierten Parteien bewusst niedrig gehängt, um Ataka nicht noch mehr Zulauf zu verschaffen, glaubt der Politologe Orlin Spassow. Doch jetzt räche sich, dass die Ängste vieler Menschen vor dem Beitritt ignoriert worden seien und eine wirkliche Diskussion nicht stattgefunden habe.

Türkei: Mitgliedschaft ohne Wenn und Aber
VON JÜRGEN GOTTSCHLICH

„Wir halten an unserem Ziel einer EU-Mitgliedschaft ohne Abstriche fest. Wir wollen Mitglied der Union werden, wenn es sie denn in zehn Jahren noch gibt.“ Mit diesem Statement hat der türkischen Ministerpräsident Tayyip Erdogan die Gemütslage der EU-Befürworter ziemlich klar umrissen. Wir machen weiter, sollte das heißen, aber wir sind doch stark verunsichert darüber, was auf uns zukommt.

Die türkische Regierung geht bislang noch davon aus, dass der Beginn von Beitrittsverhandlungen am 3. Oktober trotz des derzeitigen Chaos in Brüssel nicht gefährdet ist. Dass der EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn und sein Vorgänger Günter Verheugen immer öfter betonen, dass das Ergebnis von Verhandlungen ja völlig offen sei, hat in Ankara bislang noch zu keinen weiteren Irritationen geführt.

Man will wahrscheinlich noch im Juli das Zusatzprotokoll zur Zollunion unterzeichnen und damit die Brüsseler Forderung nach einer indirekten Anerkennung Griechisch-Zyperns erfüllen. Zwar spricht die Opposition nach wie vor von einem Ausverkauf der Interessen der türkischen Zyprioten, doch die Kritik geht ins Leere. Überhaupt ist das Hauptproblem der Opposition eine außenpolitische Alternative aufzuzeigen. Mit nationalistischem Pathos allein kommt die türkische Wirtschaft nicht in Gang. Solange die Wachstumsraten weiter bei 6 bis 9 Prozent liegen, ist Erdogan erst einmal nicht gefährdet. Anders sähe es aus, wenn die Beitrittsverhandlungen gekippt würden. In diesem Fall stünde auch die Regierung ohne Alternative da und müsste ein Scheitern ihrer gesamten Politik eingestehen.

Balkan: EU-Krise schwächt Reformer
VON ERICH RATHFELDER

Noch halten sich die Verantwortlichen in den Westbalkanstaaten bedeckt. Ob die EU künftig zu ihren Versprechungen stehen wird, ist aber die Frage, die vor allem bei den Reformkräften Sorgen auslöst. Nur der mazedonische Ministerpräsident Vlado Buckovski sprach offen aus, was viele denken. Wenn die Perspektive der Integration in die EU wegfalle, wäre die Stabilität in der Region gefährdet, warnte er. Buckovski weiß, wovon er spricht. Denn erst am 10. Juni verbarrikadierten sich albanische Aufständische in einem Ort nahe der Hauptstadt Skopje. Die schwelenden Konflikte zwischen der slawischen Mehrheitsbevölkerung und den Albanern könnten jederzeit wieder aufflammen, befürchten auch ausländische Diplomaten. Indem die Nato und die EU nach den bewaffneten Auseinandersetzungen 2001 bei Wohlverhalten die Aussicht auf die Integration in die EU versprochen hatten, konnte mit dem Vertrag von Ohrid wieder Frieden einkehren. Seither bemüht sich das Land, die Bedingungen der EU zu erfüllen. Doch kaum gerät die EU in die Krise, knistert es im Lande schon wieder.

In Serbien versuchte die Führung in den letzten Monaten, den Anforderungen der EU gerecht zu werden. Eine Reihe hoher Offiziere und mutmaßliche Kriegsverbrecher wurden an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert. Die Aufnahme von ersten Gesprächen wurde in der Bevölkerung gefeiert. Trotz aller nationalistischer Verirrungen wünscht sich die Mehrheit des Volkes in Europa als gleichberechtigter Partner aufgenommen zu werden. Zwischen Serbien und Europa steht aber noch die Auslieferung der Hauptverantwortlichen der Massaker in Bosnien, Radovan Karadžić und Ratko Mladić.

Doch gerade an diesen beiden Kriegsverbrechern kristallisieren sich auch in Bosnien und Herzegowina die Probleme der EU-Politik. Bisher konnte die EU mit dem Zuckerbrot der Integration locken und der Peitsche des Abbruchs der Gespräche drohen. Die Reformkräfte in allen Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens konnten diese Spannung zu ihren Gunsten nutzen. Setzte sich in Brüssel die erweiterungsskeptische Haltung fort, wären nicht nur die Hoffnungen der Bevölkerungen enttäuscht, sondern gerade jene bestraft, die mit der Aussicht auf Integration demokratische Reformen vorantreiben wollen.