Tatjana Söding guckt sich die neue Gedenktafel für Tony Sender an
: Gedenken auf königlichem Porzellan

Es wird nicht vieler Frauen des Ar­bei­te­r:in­nen­kamp­fes in Deutschland öffentlich gedacht. Mit Enthüllung einer Gedenktafel zur Erinnerung an Tony Sender (1888–1964) am Montag macht Berlin nun die Geschichte einer Journalistin, Politikerin und Widerstandskämpferin zugänglich. In der Hauptstadt ist dies der erste Gedenkort für Tony Sender, die von 1924 bis 1933 den Reichstagswahlkreis 28 Dresden-Bautzen vertrat. Bis zum Ende der Weimarer Republik war sie Mitglied der Reichstagsausschüsse für Wirtschaft und Außenpolitik und „die einzige Frau im Reichstag, die wirtschaftspolitische Expertise hatte“, sagt die Historikerin Christl Wickert bei der Feier zur Einweihung der Gedenktafel am Montag.

In Frankfurt am Main wird Senders bereits aktiver gedacht: dort verleiht die Stadt seit 1992 jährlich den Tony-Sender-Preis an Engagierte im Kampf um die „Gleichberechtigung von Mann und Frau und gegen Benachteiligung und Diskriminierung“. Denn in der hessischen Stadt tritt die aus einem orthodox jüdischen Elternhaus stammende Sidonie Zippora (Tony) Sender 1910 der SPD bei und engagiert sich dort 1914 gegen die Kriegskreditbewilligung in der SPD. 1917 begründet sie die Unabhängige Sozialistische Partei, zu der Zeit ist sie die einzige Frau im Frankfurter Arbeiter- und Soldatenrat. Kulturstaatssekretär Thorsten Wöhlert erinnert auch an Senders feministische Kämpfe: „1915 nahm sie gegen den Willen des Parteivorstandes an der internationalen sozialistischen Frauenkonferenz in Bern teil“, berichtet er, später habe sie die Redaktion der sozialdemokratischen Zeitschrift Frauenwelt übernommen.

Bereits zu dieser Zeit wohnte Sender in dem Haus in der Wittelsbacherstraße 34 in Berlin Wilmersdorf, an dessen Hauswand nun die Porzellantafel an sie erinnert. Am 5. März 1933, am Tag der Reichstagswahl, „schloss Sender ihre Wohnung hier zum letzten Mal ab und flüchtete“, berichtet Historikerin Wickert. Sender lebte bis zu ihrem Tod in New York und engagierte sich dort in Gewerkschaften und bei den Vereinten Nationen.

Historikerin Wickert stellt kurz vor der Enthüllung der Tafel fest, dass Sender „sich in ihrem Grab umdrehen würde, wenn man sie als Mitglied der Arbeiter:innen- und nicht Arbeiterbewegung beschreiben würde“. Ob Sender sich nicht eher im Grabe umgedreht hätte, wenn die frühe Verfechterin einer Frauenquote in der Partei wüsste, dass in der SPD-Bundestagsfraktion bis heute nur ein Drittel Frauen sind? Oder spätestens, wenn sie mitbekäme, dass ihr Name nun auf einer Gedenktafel aus der Königlichen Porzellanmanufaktur prangt oder dass Bundeskanzler Scholz der italienischen Faschistin Giorgia Meloni offiziell zum Amtsantritt gratulierte. Menschen zu gedenken ist wichtig – ihre Forderungen realpolitisch umzusetzen aber auch.