: Energie aus der Reserve
Was bis vor ein paar Wochen noch das große Problem des FC Bayern zu sein schien, gilt mit einem Mal als wahre Stärke: die üppig ausgestattete Offensivabteilung ohne Superstürmer. Beim 6:2 gegen Mainz berauscht sich das Team an sich selbst
Aus München Elisabeth Schlammerl
Wenn eine Mannschaft wie der FC Bayern nicht aufhört zu gewinnen, hat das meist mehrere Gründe. Neben der großen individuellen Qualität selbstverständlich. Was ein paar Wochen davor noch als Auslöser einer kleinen Herbstkrise gegolten hat, kann plötzlich ausschlaggebend sein für die aktuelle Klasse: Viele Offensivspieler, aber keinen 40-Tore-Stürmer, und ein ausgeglichener Kader. „Es ist gerade außergewöhnlich“, stellte Trainer Julian Nagelsmann nach dem 6:2 gegen den FSV Mainz 05 in der Bundesliga fest. Außergewöhnlich gut, meint er.
Hinten, weil die Abwehr so stabil wirkt wie noch nie unter Nagelsmann. Und vorne, weil die Gegner nicht genau wissen, auf wen sie sich konzentrieren sollen. Die sechs Treffer am Samstag erzielten sechs verschiedene Spieler. Der Mainzer Trainer Bo Svensson hatte vor allem auf Eric Maxim Choupo-Moting ein besonderes Augenmerk gelegt, ist der Stürmer doch der erfolgreichste Münchner Torschütze in den vergangenen fünf Spielen. Getroffen hat er trotzdem. „Es gibt nichts Besseres, als wenn jeder in der Mannschaft Tore erzielen kann“, sagte der Bayern-Boss Oliver Kahn. „Das erzeugt dann auch einen gewissen Respekt beim Gegner.“ Jenen Respekt, der im September weniger geworden war, weil das Bild, das der FC Bayern nach ein paar Unentschieden und einer Niederlage in der Liga abgegeben hatte, nicht das eines Souveräns war.
Es hatte rumort, im Klub, in der Mannschaft, auch ein bisschen im Verhältnis zwischen Trainer und Spielern. Ansprüche an Startelf-Einsätze wurden öffentlich formuliert. Einzelinteressen schienen eine wichtigere Rolle zu spielen als das große Ganze. Vielleicht war es dieses 2:2 bei Borussia Dortmund Anfang Oktober nach 2:0-Führung, das der Mannschaft die Augen endgültig geöffnet hat. „Es war unser Ziel, dass wir uns in so einen Flow reinbringen“, sagte Leon Goretzka.
Wenn die Mannschaft funktioniert, funktioniert sie, egal, wer in die Mannschaft rotiert wird, egal, ob ein echter Neuner oder ein falscher Neuner dabei ist. „Der eine nimmt den anderen mit, so kommt diese Energie zustande. Und das macht es einfacher, eine gute Leistung zu zeigen“, sagte Serge Gnabry. Dass mit Lucas Hernandez, Leroy Sané, Thomas Müller und Manuel Neuer vier wichtige Stammspieler fehlen, fällt kaum ins Gewicht. Und von Robert Lewandowski wurde zuletzt nur noch rund um das Barcelona-Spiel gesprochen.
Serge Gnabry
„Alle die, die von der Bank kommen, machen es sehr gut. Und davon lebt dann eine Mannschaft auch“, sagt Nagelsmann. Zwar gibt es immer noch Spieler, die im Moment weniger Startelf-Einsätze bekommen, als sie gewohnt sind. Kingsley Coman zum Beispiel, der nach einer kleinen Verletzungspause weder an Sadio Mané noch an Serge Gnabry vorbeikommt. Oder Benjamin Pavard. Der Außenverteidiger hat in Noussair Mazraoui nicht nur einen nahezu gleichwertigen Konkurrenten, der gegen eine „aggressiv verteidigende Mannschaft außergewöhnlich ruhig am Ball“ sei, lobt Nagelsmann. Sondern Pavard wird auch als Innenverteidiger gebraucht, so lange Hernandez noch ausfällt. „Er deckt gerade zwei Positionen ab, da muss man abwägen, wie man ihn spielen lässt.“
Sven Ulreich scheint als Vertreter von Manuel Neuer mehr nach dem Spiel gefordert, wenn er zum Fitnesszustand des an der Schulter verletzten Stammtorhüters Auskunft geben soll. Man müsse da „von Tag zu Tag schauen“, sagt Ulreich. „Aber ich gehe davon aus, dass er vor der WM schon noch Spiele machen wird.“
Auf dem Platz hat es die Münchner Nummer zwei derzeit nicht allzu schwer, aber eben auch kaum einmal Gelegenheit, sich zu empfehlen. Das müsse er auch nicht, sagte Ulreich, denn „ich weiß meinen Wert, auch wenn ich nicht spiele.“ Ein Fauxpas, wie der am Samstag, als ein Abspiel beim Gegner landete und Marcus Ingvartsen diese Vorlage zum zweiten Mainzer Treffer nutzte, fällt angesichts seiner Unterbeschäftigung zwar besonders auf, aber „das ist nicht so wild“, sagt Ulreich. Beim Stand von 5:1 habe er nicht den einfachen Ball spielen wollen, sondern etwas ausprobieren. Es mag für die Konkurrenz ein kleiner Trost sein: Es gibt noch Dinge, die dem FC Bayern nicht gelingen.
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