Gabrielle, Utah
: „Wir sind immer unter­besetzt und überarbeitet“

Ihre Kinder hatten Corona, Gabrielle, allein­erziehend, musste drei Wochen zu Hause bleiben, bekam aber nur fünf Tage bezahlt Foto: Foto:Johannes Hör

Gabrielle ist mit ihrer Schicht durch, die grüne Barista-Schürze trägt sie noch bei sich. Es ist ein träger Nachmittag in einem Vorort von Salt Lake City. Nur am Drive-in stauen sich die Autos: Der Reihe nach bestellen Kun­d*in­nen am Mikrofon, bekommen Kaffee durch das Fenster gereicht und fahren weiter.

„Für viele in meinem Alter ist die Arbeit hier eine Zwischenstation, ein Nebenjob. Ich habe nicht viele Wahlmöglichkeiten in meinem Leben. Da ist das Starbucks-Studienprogramm, zusammen mit der Krankenversicherung ein echter Rettungsanker. Dafür bin ich sehr dankbar,“ erzählt Gabrielle.

Die Mutter von zwei Kindern spricht überlegt, sie macht Pausen zwischen den Sätzen. Auf die Frage, wieso sie der Gewerkschaftsbildung zugestimmt hat, zögert Gabrielle kurz: „Als die Pandemie sich zurückzog, schien alles zur Normalität zurückzukehren – nur Starbucks kam nicht aus dem Krisenmodus. Die Personalsituation ist verrückt, wir sind immer unterbesetzt und überarbeitet, besonders morgens. Dann kam die Scheidung von meinem Mann. Meine Kinder hatten sich mit Corona angesteckt, ich musste drei Wochen zu Hause bleiben, bekam aber nur fünf Krankheitstage bezahlt und hätte also fast die Ansprüche auf meine Krankenversicherung verloren. Ich war frustriert und ängstlich zugleich. Durch die Gewerkschaft ist mir klar geworden, dass ich nicht einfach darauf warten kann, dass die Filialleitung oder die Firma meine Arbeitsbedingungen verbessern.“

Laila, Arizona
: „Schon mit 17 wurde ich für Doppelschichten eingeteilt, als Minderjährige“

Kaum muckte Laila gegen die Bedingungen bei Starbucks auf, wurde sie gefeuert Foto: Johannes Hör

Hätte ich gewusst, dass es Gewerkschaften gibt, wäre ich schon an meinem zweiten Arbeitstag beigetreten.“ Laila sitzt am Rand des Demonstrationszugs am New Yorker Times Square und ist sichtlich erschöpft. Zwei Flüge hat die 19-Jährige hinter sich, um bei diesem Labor Day am 5. September dabei zu sein. Auch sie hat vor der Menge eine kleine Rede gehalten, und die Demoroute war weit: von der Zweitwohnung des scheidenden Starbucks-CEOs Howard Schultz zogen die Protestierenden zur Zweitwohnung von Jeff Bezos, CEO von Amazon, insgesamt einmal quer durch Manhattan.

Lailas Hände mit den roten Klebenägeln werden unruhig, wenn sie über ihre Arbeitsbedingungen spricht: „Als ich mit 17 bei Starbucks anfing, wurde gegen alle Regeln der Beschäftigung von Minderjährigen verstoßen, an manchen Tagen waren es zwei Schichten hintereinander, neben der Schule. Mit der Pandemie wurde es schlimmer. Ich blieb dabei, weil ich nicht verschuldet studieren wollte.“ Als dann ein Krankenhausaufenthalt die Finanzierung ihres Studiums durch ihren Arbeitgeber infrage stellte, wandte sich Laila an einen älteren Kollegen: „Ich war wirklich verzweifelt und sagte Bill, dass ich hinschmeißen würde. Da fragte er mich, ob ich stattdessen versuchen wolle, eine Gewerkschaft zu gründen. So haben wir angefangen, mit unseren Kol­le­g*in­nen zu sprechen.“

Nach nur zwei Tagen, am 22. Januar 2022, hatten 12 der 19 Angestellten der Filiale im Norden von Phoenix ihr Interesse bekundet – damit war dann bereits die dritte Starbucks-Filiale im Bundesstaat Arizona auf dem Weg der Gewerkschaftsgründung.

Prompt setzten die Repressionsmaßnahmen ein: Am folgenden Montag wurde Laila zum ersten Mal in mehr als zwei Jahren Beschäftigung schriftlich verwarnt. Über Monate wechselten sich Vorladungen zu Vorgesetzten und Verwarnungen ab. Laila begann, Teile der Gespräche als Beweismaterial mitzuschneiden. Kurz vor der offiziellen Abstimmung zur Gewerkschaftsgründung wurde sie entlassen. Nun bemüht sie sich, ihr Studium dennoch abzuschließen, spricht immer wieder bei Veranstaltungen von Starbucks Workers United und hat eine weitere, eigene Organisation gegründet, die Re­stau­ran­t­ar­bei­te­r*in­nen vertritt. „Früher war ich sehr schüchtern, konnte mich kaum mit Leuten unterhalten und schon gar nicht vor Publikum sprechen. Ironischerweise habe ich das bei der Arbeit am Starbucks-Drive-in gelernt.“

Bill, Arizona
: „Der halbe Laden war kurz davor, hinzuschmeißen“

Bill ist optimistisch, dass sich mehr und mehr Menschen dem neuen Arbeitskampf anschließen Foto: Fo­to: Johannes Hör

Es ist ein heißer und trockener Tag in Phoenix. Bill, der seine junge Kollegin Laila vor knapp einem Jahr zur Gewerkschaft gebracht hat, wohnt nur ein paar Straßen von seinem ehemaligen Arbeitsplatz entfernt. Bills Hunde hecheln pausenlos, ein Wasserzerstäuber soll die 44 Grad Außentemperatur erträglicher machen. Bei Starbucks hatte Bill im Mai 2020 angefangen, nachdem seine eigene Veranstaltungsfirma wegen der Pandemie dicht machen musste. Er betont, wie schwer es sei, sich im schnellen Arbeitsumfeld der Kette zurechtzufinden: „Ich höre schlecht, hatte damals aber noch kein Hörgerät, und es gab Personalmangel bei einer Schicht. Also stand ich selbst am Drive-in-Mikrofon und wurde immer gestresster und gestresster. Aber über die Zeit fand ich Spaß an der Arbeit und wurde immer besser.“

Was eine berufliche Übergangslösung sein sollte, wurde zu einer kleinen Karriere: Laila und Bill bewarben sich beide auf Schichtleitungstellen. „Hier wurde mir erst wirklich bewusst, unter welchem Personaldruck wir arbeiteten. Ich wurde schlecht für die neue Rolle angelernt und sah überall Ungleichbehandlungen. Also sprach ich mit den Mitarbeiter*innen, schrieb eine E-Mail, wir redeten auf Zoom. Bald stellte sich heraus, dass der halbe Laden drauf und dran war, hinzuschmeißen.“

Die ersten Pläne für eine Gewerkschaftsgründung stießen auf große Resonanz in der Belegschaft – und sogleich bekam auch Bill Repressionen zu spüren: „Dann ging der Druck erst richtig los. Ständig hatten wir uns über Personalmangel beschwert, doch in der Woche vor unserer Gründungsabstimmung wurden plötzlich sieben neue Leute angestellt. Sie waren alle nicht in unserem Laden angelernt worden, um den Kontakt kleinzuhalten. Und nach unserer Abstimmung wurden sie sofort wieder abgezogen.“ Unentschlossene Baristas mussten zu Einzelgesprächen mit Vorgesetzten antreten, ihnen wurde der Entzug der Zusatzleistungen angedroht. Wer die Gewerkschaftsgründung befürwortete, wurde gekündigt – wie Laila traf es auch Bill.

Seine frühere Filiale betreffend ist Bill pessimistisch: „Mittlerweile haben sie dort im Personal fast alle Leute ausgetauscht.“ Beeindruckt hat ihn jedoch die Welle von Solidarität aus der sonst eher konservativen Bevölkerung in Arizona: Ringsum haben Beschäftigte anderer gewerkschaftlich organisierter Branchen, etwa Restaurant- und Hotelkräfte, solidarisch Gelder zur Verfügung gestellt. Damit können beispielsweise Lohnausfälle bei Streiks ausgeglichen oder Übergangsgelder für gefeuerte Beschäftigte finanziert werden.

Bill klingt euphorisch, wenn er die Neuartigkeit dieser Bewegung betont: „Das ist alles von Ar­bei­te­r*in­nen selbst getragen, so gab es das in den Vereinigten Staaten noch nie! Alle, die auf Stundenbasis bezahlt werden, rufen wir auf, sich zu organisieren. Ob demokratisch oder republikanisch. Das ist keine Frage der politischen Orientierung für mich.“

Heute arbeitet er in einem anderen Café und als Aushilfslehrer und baut zusammen mit Laila die Ar­beit­neh­me­r*in­nen­ver­tre­tung aus. „Wir haben Kontakt zu Uber-Fahrern, zur Cannabisindustrie, zu Restaurants. Wir versuchen, allen zu vermitteln, dass es nichts hilft, sich mit dem Chef einzeln zum Plausch zu treffen – es ist an der Zeit, sich zu organisieren.“

Tyler, Kalifornien
: „Die Leute haben auch gearbeitet, wenn sie Corona-positiv waren, es gab Druck“

In Tylers Welt leben alle prekär Foto: Fo­to: Johannes Hör

Viele meiner Kolleg*in­nen sind nicht wirklich politisch, aber kommen aus prekären Gegenden wie Compton – die leben einfach hier, haben Armut, Polizeigewalt, Rassismus erlebt. Und das Gefühl, alleingelassen zu werden. Als in Buffalo die allererste Starbucks-Gewerkschaft entstand, wusste ich sofort, dass das auch hier passieren muss. Ich konnte so nicht mehr leben, niemand von uns kann so leben, mit einem miserablen und prekären Job, in dem wir ständig unterbesetzt sind. Also war es höchste Zeit, etwas zu tun.“ Tylers düstere Stimmung passt nicht recht in diesen sonnigen Nachmittag in Long Beach, Kalifornien. Er spricht von Boni für Filialleitungen, die sein Gehalt übersteigen. Davon, dass von den rund 10.000 Dollar Umsatz, die jede Woche im Laden generiert werden, bei den Baristas kaum etwas ankommt, während ein einzelner Konzerngeschäftsführer jährlich um die 20 Millionen Dollar kassiert.

Der 26-Jährige hat viele Kontakte, kennt Ak­ti­vis­t*in­nen der Bewegung überall im Land, zählt wohl zu denen, die man in den USA „online people“ nennt: ein Mensch, der sich viel im Netz austauscht. Er spricht von Freun­d*in­nen bei den Gewerkschaften von Amazon, dem Telefoniegiganten Verizon und der Restaurantkette Chipotle, alle hat er auf Twitter kennengelernt. „Natürlich gibt es nicht den einen Grund dafür, dass sich diese Gewerkschaften so rasend schnell verbreiten. Aber die Erfahrung der Pandemie, die viele Zeit im Internet – das hat schon etwas verändert bei den Leuten“, glaubt er.

„Als die Unternehmen nach den schlimmen Corona-Wellen so schnell versucht haben, wieder auf Normalbetrieb zu schalten, sind viele nicht mitgegangen. Unser Café war nie geschlossen. Im Mai 2020 gab es einen Drei-Dollar-Stundenbonus für diejenigen, die trotz der Pandemie weiterarbeiteten, aber der war nach zehn Wochen auch wieder weg. Die Haltung von oben war: Wenn ihr nicht arbeiten wollt, dann geht doch! Die, die geblieben sind, mussten Mehrarbeit leisten. Es gab zehn Tage bezahlte Krankschreibung, weil das staatlich festgeschrieben war. Leute haben gearbeitet, auch wenn sie positiv auf Corona getestet waren, mit Maske eben. Da haben sich einige irgendwann doch dagegengestellt.“

In Tylers Wahrnehmung liegen die Ursprünge für die Frustration aber noch weit vor der Pandemie: „Gerade in dieser Generation, wo so viele Leute sehen, dass ein Universitätsabschluss sie nirgendwohin bringen wird und dass die Welt auf eine riesige Klimakrise zuläuft, ist das Narrativ des amerikanischen Traums ziemlich ausgeleiert. In dieser gesellschaftlichen Stimmung bin ich in den Arbeitsmarkt eingetreten, mit 19. Ich wurde bei der Arbeit niedergemacht und wusste dabei genau, dass ich finanziell auf keinen grünen Zweig kommen würde.“

Anderen in seiner Altersgruppe gehe es ähnlich: „Eine Zeit lang war es um mich herum Mode, ständig den Job hinzuwerfen und woanders anzufangen. Aber was bringt es, vom Regen in die Traufe zu wechseln? Man muss etwas verändern.“ Dass diese Veränderung sich nun gerade bei Starbucks Bahn bricht, wundert ihn nicht: „Diesem Unternehmen ist die eigene Personalpolitik von Diversität und Inklusion auf die Füße gefallen. Bei uns gibt es dazu einen Running Gag: Wie konnte Starbucks keine Gewerkschaftsbewegung erwarten, wenn alle Leute, die sie einstellen, queer und links sind?“

Kit, Utah
: „Niemand hatte Ahnung. Das Wichtigste mussten wir uns selbst beibringen“

Kit ist trans – und streitlustig Foto: Fo­to: Johannes Hör

Das große amerikanische Ding ist wirklich, dass die Trennung zwischen Arbeit und Privatleben eine so geringe Rolle spielt. Arbeitgeber behaupten, dass alle Familie und Freunde seien, und dann versuchen sie, dich auszunutzen“, sagt Kit. „Aber ich bin nicht deine Familie, und ich bin auch nicht deine Freundin, das hier ist meine Arbeit. Wenn es ein Problem gibt, muss man das angehen, und da hilft übertriebene Höflichkeit nicht.“

Am Arbeitsplatz von Kit und ihrer alleinerziehenden Kollegin Gabrielle in Salt Lake City sind die Starbucks Workers United sofort sichtbar, auf ausliegenden Flyern und Ansteckern. „Ein Faktor ist sicher, dass wir hier unsere Rechte kennen und Verstöße dagegen immer sehr bestimmt und sofort angesprochen haben. So vieles hier war anfangs improvisiert. Kol­le­g*in­nen kamen zu mir mit Fragen, und alles, was ich sagen konnte, war:,Keine Ahnung, ich hab doch nicht Jura studiert, ich arbeite hier bloß, wie ihr.‘ Und weil niemand eine Ahnung hatte, mussten wir uns das Wichtigste eben selbst beibringen.“ Kit überlegt kurz, dann grinst sie. „Vielleicht bin ich auch einfach streitlustig und habe keine Angst vor Konfrontationen.“

Kit spricht leise, klingt aber sehr bestimmt dabei. Die Hauptarbeit fällt für sie am Drive-in an: Ein Bildschirm listet Bestellungen auf, in roten und grünen Ziffern wird die Bearbeitungszeit sekundengenau gemessen. Kit und Gabrielle wechseln sich bei den Schichten ab. Vor dreieinhalb Jahren hat sie bei Starbucks angefangen, auch wegen der Krankenversicherung, die geschlechtsangleichende Operationen abdeckt. „Viele andere Arbeitgeber haben Angebote, die eine günstigere und bessere medizinische Versorgung gewährleisten – aber eben nicht diese Operation, weil sie sie als kosmetischen Eingriff ansehen. Ich kenne viele trans Leute, die explizit deshalb hier arbeiten. Auch sind Cafés generell liberalere Orte, das gilt besonders hier im konservativen Utah.Viele queere Leute finden deshalb eine Heimat in dieser Branche.“

Sie selbst hat die Arbeit in der Gastronomie aber nicht nur aus rein pragmatischen Gründen gewählt: „Ich mag diesen Beruf wirklich gern: Ich mag es, mit unseren Kun­d*in­nen zu quatschen, und bin eine Kaffee-Enthusiastin. Wenn Geld nicht das Problem wäre, könnte ich mir das für eine wirklich lange Zeit vorstellen.“ Ihre Zukunft, meint Kit, hänge aber entscheidend an der Gewerkschaft: „Da ist viel Hoffnung im Spiel. In unserem Bundesstaat gibt es bis heute nur zwei gewerkschaftlich organisierte Starbucks-Filialen. In letzter Zeit aber, seitdem wir Tarifverhandlungen vorbereiten können, haben wir insgesamt einen Gang zugelegt. Das fühlt sich gut an. Wir haben wirklich versucht, Starbucks an den Verhandlungstisch zu bekommen, und haben uns viel mehr untereinander abgesprochen. Im späten Oktober beginnt nun unsere erste Verhandlungsrunde.“

Diese betrifft nicht nur ihre Filiale allein: „Wenn die Gewerkschaften bei Starbucks und Amazon Erfolg haben, kann das etwas sehr Großes lostreten. Niemand versteht das besser als die, denen diese Unternehmen gehören, und man spürt, dass sie bereit sind, weit zu gehen, um die Entwicklung aufzuhalten. Wenn die Gewerkschaften bei Starbucks und Amazon scheitern, dann wird es für lange Zeit nichts Vergleichbares geben. Es steht also viel auf dem Spiel. Wir werden bald sehen, ob man optimistisch sein kann.“