Wie im alten Rom

Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher dirigiert am Wochenende zum letzten Mal in Hamburg

von Ilja Stephan

Man kann nur hoffen, dass die von Ingo Metzmacher gegebenen Impulse in Hamburg weiter fortgeführt werden, so schrieb es die Jury, nach deren Ratschluss jüngst der Max-Brauer-Preis für „besonderes Engagement für das kulturelle, wissenschaftliche oder geistige Leben Hamburgs“ an den scheidenden Generalmusikdirektor (GMD) verliehen wurde. Ob dieser Wunsch Wirklichkeit wird, muss man allerdings bezweifeln. Der Preisträger selbst jedenfalls scheint kaum dran zu glauben; das „Finale“ in der Staatsoper ließ in den vergangenen Monaten die Marksteine seiner Ära Revue passieren, so als wollte man sagen: ,Guckt es euch noch mal genau an, mit Inszenierungen wie diesen ist es jetzt vorbei.‘

„Zustände wie im alten Rom“: So lautet das unverkennbar auf die hanseatischen Verhältnisse gemünzte Motto in der burlesken Pleiten-Pech-und-Pannen-Inszenierung von Mozarts Titus, mit der Metzmacher und sein Mitstreiter, der Regisseur Peter Konwitschny, sich aus Hamburg verabschieden. Man habe einen Streich ausgeheckt, „im klaren Bewusstsein, dass die Leute damit etwas vor den Latz kriegen“, so bringt es Konwitschny sehr deutlich auf den Punkt.

Den Leuten etwas vor den Latz zu geben – notfalls auch mit dem Holzhammer –, könnte geradezu als Motto über der Ära Metzmacher stehen: Er hat darauf gesetzt, Neue Musik auch in den Abonnementkonzerten so lange und so oft zu spielen, bis sie ein selbstverständlicher Teil des Repertoires wurde. Er hat die heilige Kuh des Bildungsbürgers, das Silvesterkonzert mit Beethovens Neunter, geopfert, um einen musikalischen Jahreswechsel mit „Schmankerln“ aus der Musik des 20. Jahrhunderts einzuführen – dieses Konzept ist inzwischen fast so bekannt wie sein Wiener Urbild. Und er hat an der Staatsoper konsequent auf Regie-Konzepte gebaut, die aktuelle, meist mit einem Schuss Tagespolitik versetzte Deutungen der hinlänglich bekannten Repertoire-Opern bieten. Aktualität und Konfrontation sind Teil seines Arbeitsprinzips.

Dabei muss man Metzmacher allerdings zugestehen, dass sein Konfrontationskurs nie Selbstzweck war; seine Strategie hatte nicht nur Methode, sondern vor allem ein Anliegen. Viele seiner Projekte waren bewusst vernetzt: Nonos unendlich langsamer Prometeo beim letzten Musikfest etwa stand im Zusammenhang mit Wagners Parsifal; Mahlers Auferstehungssinfonie zum 175-jährigen Orchesterjubiläum spiegelte sich in Berios Sinfonia. Wer wollte, konnte in den letzten acht Jahren viel lernen. In diesen Zusammenhang steht auch sein Engagement für die Musikvermittlung und -erziehung: Wo sonst kann man den Chef selbst bei einer Konzerteinführung am Flügel erleben? Welcher Orchesterleiter zieht schon persönlich mit seinen Musikern durch die Schulen?

Musik, das ist bei Metzmacher etwas, mit dem man sich Mühe geben und auf das man sich einlassen muss, das aber auf diese Weise wirklich etwas mit unserem Leben zu tun hat. Kurz gesagt: Kunst ist etwas Emanzipatorisches. Das klingt nach den hehren Worten, die Oberlehrer mit links schlagendem Herzen uns früher in der Schule gepredigt haben, und es kam – gerade in den späteren Produktionen mit Konwitschny – auch häufig mit ähnlichem Gestus daher. Trotzdem ist Metzmacher inhaltlich etwas gelungen, wofür eine Elbphilharmonie nur ein äußerliches Zeichen wäre: Er hat in Hamburg etwas Unverwechselbares geschaffen; der Star-Rummel ist ubiquitär, die Silvesterkonzerte, das Musikfest oder Lohengrin im Klassenzimmer aber waren Dinge, die es so nur hier gab.

Ausgeprägtes Profil, so lautet dabei die Lehre aus Metzmachers GMD-Zeit, ist notwendig etwas, mit dem man auch aneckt. Am 26. und 27. Juni wird Metzmacher sich im 10. Philharmonischen Konzert von seinem Hamburger Publikum verabschieden. Auf dem Programm steht u.a. die Vierte von Schostakowitsch – dessen kühnste Symphonie, die 25 Jahre lang in der Schublade verschwand, weil sie einer rigiden Kulturbürokratie nicht passte. Metzmacher bleibt also bis zum Schluss für eine Pointe gut.

10. Philharmonisches Konzert unter letztmaligem Dirigat Ingo Metzmachers: So, 26. 6., 11 Uhr sowie Mo, 27. 6., 20 Uhr, Laeiszhalle.