Osman Engin
Alles getürkt
: Jährlich nervt die Buchmesse

Foto: privat

Mein lieber Onkel Ömer, wie geht es Dir und wie geht es meiner lieben Tante Ülkü? Wie geht’s der hübschen Kuh Pembe, wie geht’s der schwarz gepunkteten Ziege Fatima, wie geht’s unserem guten, alten Dorfvorsteher Hüsnü?

Lieber Onkel Ömer, ich bin zurzeit auf der Frankfurter Buchmesse. Die Ausmaße dieser Buchmesse kannst Du Dir gar nicht vorstellen. Ich werde mal versuchen, es Dir zu schildern. Du weißt doch, wie riesig unser Gemüsebazar in der Kleinstadt ist, wo Du im Sommer Deine Gurken und Wassermelonen verkaufst. Jetzt stell Dir mal Hunderte solcher Hallen mit Tausenden von Ständen vor, alle Stände vollgepackt mit unglaublich vielen Büchern. Millionen von sonnengereiften, ich meine, frisch gedruckten Büchern werden in den Markthallen ausgestellt. Es gibt sogar chinesische und ostfriesische darunter. Wer soll denn so was verstehen, geschweige denn lesen?

Gestern hat meine tapfere Lektorin mich an der Hand genommen und mich durch die unglaublichen Menschen- und Büchermassen zu meinem Buch geführt. Die Lektorin, das ist die Frau, die in meinen Büchern in tagelanger Arbeit alle lästigen Artikel neu sortiert. Sie ist nämlich so intelligent, dass sie auswendig weiß, vor welchem Wort welcher Artikel stehen muss. Die Deutschen haben nämlich die schlimme Angewohnheit, sämtliche Sachen nach Geschlechtern aufzuteilen und ihnen dann einen Artikel zu verpassen, selbst wenn sie gar kein Geschlecht haben!

Deine Gurken sind in den Augen der Deutschen weiblich: Die Gurke! Im Gegensatz zu einer sauren Gurke wird aber ein süßes Mädchen als nicht weiblich angesehen, sondern sächlich: das Mädchen! Selbst ein tolles Weib wird als sächlich eingestuft: das Weib! Aber es kommt noch schlimmer: Sie haben ein und demselben Ding gleich drei verschiedene Artikel verpasst: der Wagen, die Karre, das Auto!

Lieber Onkel Ömer, außer mir interessierte sich kein einziger Mensch für mein Buch. Deshalb hatte ich den ganzen Tag total schlechte Laune und war völlig frustriert. Gegen Abend rief meine Frau an und wollte wissen, wie es meinem Buch denn geht. „Dem geht’s wie einem Schiffbrüchigen. Es ist völlig allein gelassen und fristet sein Dasein wie auf einer einsamen Insel!“

„Und wie geht’s dir?“, fragte sie besorgt.

„Mir geht’s ein bisschen besser. Ich darf mich wenigstens frei bewegen. Deshalb bin ich von morgens bis abends durch die ganzen Hallen gelatscht und habe bisher 67 Bücher gestohlen, um meine miese Laune ein bisschen aufzubessern“, habe ich geantwortet. Lieber Onkel Ömer, um Dir von meiner traurigen Situation ein Bild machen zu können, musst Du Dir vorzustellen, dass in dem riesigen Gemüsebasar kein einziger Mensch Deine Gurken anschauen, geschweige denn kaufen will! Pass gut auf Dich auf, bleib gesund und grüß Tante Ülkü von mir.

Dein Dich über alles liebender Neffe aus Alamanya, Osman