wortwechsel
: Greta zwischen atomarer Pest und fossiler Cholera

Silke Mertins und Kai Schöneberg haben zu Greta Thunbergs umstrittener Aussage pro und contra geschrieben. Die Lesermeinung tendiert eher ablehnend zur Atomkraft.

Greta hält es für einen Fehler, die Atomkraftwerke abzuschalten.   Foto: Jonas Ekströmer/TT/imago

„Hat Greta Thunberg recht?“, „Anti-AKW-Bewegung voll anti Greta“ und „Der Greta-Schock“

taz vom 13. und 15. 10. 22

Für eine ökologische und gerechte Zukunft

Greta Thunberg hatte im umstrittenen Interview nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Sie hat sich (aus Sicht einer Klimaschützerin durchaus nachvollziehbar) für die Cholera entschieden und die Umweltzerstörungs- & Atompartei FDP versucht jetzt, sie zum Maskottchen zu machen. Die Umweltbewegung sollte das ökonomische Interesse der atomar-fossilen Seilschaften hinter solchen Spaltungs-Versuchen erkennen. Es gab und gibt in Nuancen Unterschiede in der Umweltbewegung, doch das Verbindende überwiegt. Umweltbewegung, Klimaschutzbewegung und Anti-Atom-Bewegung lassen sich von Lobbygruppen und von der FDP nicht spalten. Wir haben in diesem Winter vermutlich nur die Wahl zwischen atomarer Pest und fossiler Cholera. Das gemeinsame Ziel von Umweltbewegung, Klimaschutzbewegung und Anti-Atombewegung ist eine ökologische, nachhaltige, gerechte, menschenfreundliche Zukunft ohne Kohle, Öl und Atom. Und wenn die atomar-fossilen Seilschaften, FDP, CDU, CSU & AfD, die Energiewende nicht so lange mit Fake News, Gesetzen und Bürokratie bekämpft hätten, bräuchten wir jetzt in der Krise weder zusätzlichen Kohle- noch Atomstrom.

Axel Mayer, Endingen

Kilowatt und Terawatt

Silke Mertins Argumentation zu der Frage, ob Greta Thunberg Recht hat, fängt mit der beeindruckend klingenden Zahl von 1.336.000 Kilowattstunden an, die alleine das AKW Emsland produziert. Strategisch verschwiegen wird dabei, dass diese 1,336 Terawattstunden lediglich mickrigen 0,06 Prozent des gesamten deutschen Energieverbrauchs aus 2020 entsprechen. Weiter geht es dann mit manipulativem Einheitengespiele, wenn von den 100 Terawattstunden die Rede ist, die der deutsche Strombedarf jährlich steigen soll. Wenn man die ach so tolle Leistung des AKW Emsland mit dieser Zahl vergleichen will, wäre die Wahl der gleichen Einheiten angebracht. Denn der Beitrag des AKW Emsland zu den 100 Terawattstunden sind auch nur magere 1,3 Prozent. In der Summe ist der Beitrag, den die AKWs zum deutschen Energiebedarf liefern können, also wirklich nur ein sehr sehr kleiner Tropfen auf den heißen Stein und rechtfertigt keinen Weiterbetrieb. Alle Argumente, die gegen einen Weiterbetrieb der AKWs sprechen, bringt der Kollege Kai Schöneberg korrekt hervor. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Simon Schreck, Berlin

Energieerzeugung dezentralisieren

Ein AKW wird aufgrund seiner Trägheit im Grundlastbereich eingesetzt – genauso wie die Braunkohle – was bedeutet, die müssen durchlaufen. Um Netzüberlastungen zu verhindern, müssen deshalb – von den peaks abgesehen – Windräder abgeschaltet werden, weil die sich schnell steuern lassen. Damit schwindet aber auch wieder der Beitrag der Erneuerbaren. Die Erneuerbaren werden aber gleichzeitig auf vielfältige Weise ausgebremst. Beispiel: In Morschenich – dem Dorf, das am Hambacher Wald nicht mehr abgebaggert wird – steht seit 2 Jahren eine fertige AgriPV-Anlage, die den Nutzen solcher Anlagen erforschen soll, nicht angeschlossen in der Gegend rum. Nun mag man sagen, das seien nur peanuts, aber die summieren sich auf. In der Masse können diese kleinen Maßnahmen bald eine Größenordnung erreichen, die sich mit einem oder mehreren AKWs vergleichen lässt. Was diese Maßnahmen aber – im Vergleich zum AKW – an Vorteil bieten, ist, dass sie dezentral sind.

Tom Meffert Aachen

Ausbau regenerativer Energien

In einer Studie (Stresstest, kostenloser Download beim BMWK), die von den Netzbetreibern verfasst wurde, steht, dass der Streckbetrieb der KKW 1,8TWh/a Gas einsparen kann. Das sind nur 2 Promille des gesamten deutschen Gasverbrauchs. U.a., weil 84 Prozent der Gaskraftwerke in Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) betrieben werden. Das heißt, sie produzieren nicht nur Strom, sondern in einem direkt gekoppelten Prozess auch Wärme. Diese Kraftwerke kann man nicht einfach abschalten, weil sonst in Fernwärmesystemen und Industriebetrieben Wärme fehlt. Einziger Vorteil des KKW-Streckbetriebs wäre, dass bei sehr ungünstigen Randbedingungen einige wenige Stunden Stromunterdeckung vermieden werden. Es gibt erheblich Wichtigeres zu tun, z.B.: Massiver und schneller Ausbau von Wind- und Solarenergie, Fördergelder konsequent nur nach erzielter CO2-Einsparung ausschütten, Gebäudesanierung massiv vorantreiben, u. v. m.. Kurzfristig hilft nur Einsparen. Und hier gibt es riesige Potenziale. Das kann man z.B. bei einem Blick in den www.stromspiegel.de feststellen, der vom BMWK herausgegeben wird. Aus der Statistik wird deutlich, dass jeder Haushalt – ohne Komfortverlust! – 30Prozent und mehr Energie einsparen kann.

Christian Neumann, Freiburg

Das kleinere Übel

Greta Thunberg wählte in ihrer Antwort das kleinere Übel. Das nennt man Realpolitik, die sich meist von der Oppositionspolitik unterscheidet. Das haben leider viele nicht verstanden. Auch nicht bei der aktuellen Bundespolitik der Grünen.

NO47 auf taz.de

Haue gibts in jedem Fall

Sage ich „Greta hat recht“, hauen mich die Grünen. Sage ich „Die Grünen haben recht“, hauen mich die FFFler. Ich bin gegen Atomkraft. Trotzdem kann ich in der aktuellen Energiesituation verstehen, dass man sie der Versorgungssicherheit wegen noch 1-2 Jahre laufen lassen will. Damit kann ich leben.

So, jetzt dürfen mich beide hauen.

Rudi Hamm auf taz.de