: Lernen von den alten Japanern
Das Kunstprojekt „ReEdoCate Me!“ ist ein richtiger Themenpark. Der wirbt für Kreislaufwirtschaft im Sinne der Edo-Zeit
Von Tom Mustroph
Ein kleines grünes Wesen stapft über den schlammigen Grund der Regenwassersammelanlage nördlich des früheren Flughafens Tempelhof. Es hat eine Zinkwanne bei sich und stellt sich als Kappa vor. Das ist ein japanischer Wassergeist. Die Schauspielerin Sachiko Hara vom Ensemble des Hamburger Schauspielhauses verkörpert ihn. Der Wassergeist klagt über die zerstörerische Kraft des Menschen und die Verschmutzung der Gewässer.
Die Performance ist Teil eines vierstündigen Parcours, der unter dem Titel „ReEdoCate Me!“ von den Künstlergruppen raumlaborberlin und les dramaturx auf dem Gelände der Floating University angelegt wurde. Er nimmt Bezug auf die Edo-Zeit in Japan. Diese von 1603 bis 1868 gehende Periode war nicht nur von bewusst gewählter Isolation gegenüber dem Westen geprägt. „Die Edo-Zeit steht auch für eine Art Öko-Diktatur, für eine von oben verordnete und durchgesetzte Kreislaufwirtschaft“, erzählt Aljoscha Begrich, einer der künstlerischen Leiter des Projekts, der taz. Im Zuge von Ressourcenknappheit wurden systematisch Wälder aufgeforstet und ganze Baumarten bestimmt, die gar nicht gefällt werden durften. „Außerdem blühten Kunst und Kultur auf. Kabuki und No-Theater entstanden in jener Zeit“, schwärmt Begrich. Die Parallelen zur heutigen Weltlage springen ins Auge. Und so ist „ReEdoCate Me!“ als eine spielerische Gehirnwaschanlage zur Stärkung des ökologischen Bewusstseins im Sinne der Edo-Zeit gedacht.
Zu diesem Zweck bewegen sich parallel mehrere, etwa ein Dutzend Menschen umfassende Gruppen über das Gelände. Das weist durchaus postapokalyptischen Charakter auf. Der schlammige See der Regenwasseraufbereitungsanlage wirkt wie die Szenerie der kontaminierten Zone aus Andrej Tarkowskis Filmklassiker „Stalker“. Allerlei wildes Gewächs ist zu sehen. Schlamm ist zu Bergen zusammengeschoben. Über die ebenen Flächen führen wacklige Stege und einzelne Steine als Trittflächen. Nebenan befindet sich die Kleingartenkolonie am Flughafen. Die Gärtchen sind zwar gepflegt, waren während der Performances aber meist verlassen – was ihnen einen gespenstischen Eindruck verlieh. In einem Gärten erfahren die Exkursionsteilnehmer*innen Details über queeres Landleben in Taiwan. In den Holzkonstruktionen der Floating University wirbt die Künstlerin Ella Ziegler für nachhaltigeren Umgang mit Exkrementen. Sie teilt Wissen über den Mistkäfer, der Kot und Dung eben in Dünger verwandelt, und stellt auch die „Nacht-Erde“-Sammler vor. Das waren in der von Recycling geprägten Edo-Zeit Sammler von menschlichen wie tierischen Exkrementen. Diese Verdauungsendprodukte wurden dann zu Dünger verarbeitet und auf die Felder gebracht.
Eine solche Fäkalienverwandlungsanlage steht nur ein paar Schritte entfernt. Besucher*innen der Floating University werden aufgefordert, auf der Trenntoilette die festen Bestandteile ihres Stuhlgangs auf einem Pappteller zu sammeln und draußen zum Trocken zu deponieren. Später werden die Substanzen verköhlert und als Dünger der Erde beigemischt, auf der der Künstler Andreas Greiner und der Architekt Takafumi Tsukamoto die Setzlinge für den „Wald des schlechten Gewissens“ ziehen. Sie sollen nach drei Jahren Wachstum vor Ort auf Pankower Rieselfelder gepflanzt werden – als eine Art Kohlendioxid-Kompensation für das Festival, aber auch für andere Berliner Kunstinstitutionen. Der Hamburger Bahnhof zeigte bereits Interesse.
Greiners „Wald des schlechten Gewissens“ ist die praktischste Intervention dieser „Umerziehung“ im Sinne von Edo. Schuhe aus dem Holz zweier in Berlin gefällter Bäume kann man in einem Workshop der Schweizer Künstler Michael Meier und Christoph Franz herstellen. Sie orientieren sich einerseits an den klassischen japanischen Holzsandalen und stellen andererseits eine ironische Intervention in den Berliner Verordnungsdschungel dar. Denn offziell dürfen zwar Lastwagen auf dem Gelände der Aufbereitungsanlage den Schlamm transportieren, Künstler*innen oder Publikum dürfen aber nur auf Holzkonstruktionen die Zone betreten. Daher auch die hölzernen Stege. Mit den Holzsandalen hätte aber jede*r eine eigene mobile Holzkunstruktion unter sich, spekulieren Meier & Franz.
„ReEdoCate Me!“ ist ein kurioser Themenpark, der Anregungen liefert. Zu hoffen ist, dass die Floating University, die dieses Areal mit vielen Projekten zum Thema Nachhaltigkeit seit 2018 bespielt, endlich von Senat und Bezirk eine kontinuierliche Nutzungserlaubnis erhält. Bisher wird die nur alle paar Monate verlängert. Derart kurze Fristen sind zur Initiierung von Nachhaltigkeitspraktiken komplett kontraproduktiv.
„ReEdoCate Me“, Floating University, bis 23. Oktober
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