Dieter Baumann über Laufen
: Ach, Schwerin, du schöne Stadt

Dieter Baumann läuft in der Stadt der Seen - und kriegt sich gar nicht mehr ein

Dieter Baumann ist 5.000m-Olympiasieger von 1992 und lebt in Tübingen.

Vor wenigen Tagen war ich zu Besuch in Schwerin. Die Stadt der fünf Seen hat viel Wasser rund herum. Mit all den Schiffen gibt es immer viel zu schauen und für ein Landei wie mich ist das immer toll. Das besondere am Stadtbild von Schwerin ist allerdings das Schloss.

Selbstverständlich gibt es in Tübingen auch ein Schloss, aber das ist im Vergleich zum Schweriner Schloss doch eher „schwäbisch“ geraten: Es ist sehr viel kleiner, sparsamer eben und steht zudem auf einem Berg. In Schwerin steht das Schloss im Wasser, goldglänzend das Dach, einfach sagenhaft.

Bei meinem Eintreffen am späten Abend wollte es der Zufall, dass vor dem Theaterhaus und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Schloss die Schlossfestspiele stattfanden. Gespielt wurde Verdi, ein Open Air der besonderen Art. Ich hockte mich auf die Stufen eines Denkmals gegenüber.

Ich war nicht der einzige, der da saß und zuhörte. Im Wasser rundherum dümpelten viele Boote, die Bootsleute tranken Wein und genossen den Abend. Im Nachhimmel glänzte das goldene Dach des Schlosses und wir lauschten der wirklich schönen Musik. Es war – wie ich schon sagte, einfach sagenhaft.

Wehmütig dachte ich an Tübingen.

Das einzige was dort gespielt wird ist der Kampf der Stadtverwaltung mit den Fledermausfreunden, die es schaffen, dass der Schlosshof für solche Veranstaltungen aus Artenschutzgründen geschlossen bleibt. Ach, Schlossfestspiele in Tübingen! Das wäre was.Beeinflusst durch Kulisse und Musik geriet ich ins Träumen.

Am nächste Tag hatte ich nach einigen „Pflichtterminen“ noch etwas freie Zeit. Selbstverständlich hatte ich entlang des Schlossgartens und am Ufer des Schweriner Sees wunderbare Cafes und Restaurants entdeckt. Zu nennen ist allen voran das Schlosscafe, aber auch allerlei Bootshäuser und Ruderclubs direkt am Wasser hatten ihre Sonnenschirme rausgepackt.

Es war warm und doch brachte ein kühler Wind die nötige Abkühlung. Ideal also für eine Tasse Kaffee am Wasser werden Sie jetzt denken. Und genau dieser Meinung war ich auch: Ich machte einen Dauerlauf. Langsam trabte ich los und ging auf Sightseeing.

Zunächst ging es durch den Schlossgarten, in dem noch die letzten Spuren eines Stadions zu sehen sind, bald schon kam die Bundesgartenschau – Laufbahn, dann ging eslweiter den See entlang. Villengebäude wechselten sich mit Yachthäfen ab, immer wieder machte mir eine lichte Stelle am Ufer den Blick auf das Schloss frei. Der Weg führte mich durch einen parkähnlichen Wald, entlang an einem Sandstrand mit Sonnenschirmen und Eisverkauf. Es herrschte Sommerstimmung. Danach bog ich in einen dichten Wald ein und lief auf wunderbar weichem Boden im kühlen Schatten der Bäume weiter.

Enge, schmale Trampelpfade führten mich an die Grenze eines Dorfes. Dort - immer noch am Seeufer - machte ich kehrt. Das Schloss hatte ich aus den Augen verloren, zu viele Buchten, zu viele Windungen war ich gelaufen. Ich spielte mit dem Tempo, mit den Geländeformen. Mal lief ich schneller, mal langsamer, mal stoppte ich und suchte das Schloss. Erst am Sandstrand tauchte es in meinem Gesichtsfeld wieder auf. Trotz Größe und zentraler Stellung war es für mich auf dieser Distanz nur schwer auszumachen. Bald wurde es aber größer und dominanter, bis es nach einigen Kilometern wieder ganz das Stadtbild von Schwerin dominierte. Diesmal allerdings nicht wie am Abend zuvor durch den Weichzeichner der Musik und der Dämmerung ummalt. Klar und deutlich lag es vor mir.

Was für eine Lauflandschaft, was für eine Stadt, was für ein Schloss. Trotz mäßigen Tempos blieb mir Zeit für einen Kaffee mit Erdbeertorte. Im Cafe‘ schwärmten sich vier Schweriner gegenseitig von ihrer Stadt vor. „Es ist die schönste Stadt Deutschlands.“

So weit würde ich ja nicht gehen, schließlich haben wir in Tübingen auch ein Schloss (und das mit nächtlicher Fledermausführung). Und den Neckar mit Stocherkähnen gibt es noch dazu.

Tübingen oder Schwerin? kolumne@taz.deMORGEN: Mausshardt