die taz vor 10 Jahren über Irans 2:1-Sieg gegen die USA und demonstrative Völkerfreundschaft
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Flirrend heiß war der Tag. Drückende Schwüle nahm allen die Luft zum Atmen. Eine Stunde vor Anstoß fachte auch noch heftig der Südwind auf und Wolkengebirge, fast so schwarz wie die Tschadors iranischer Frauen, schienen das Stade de Gerland angreifen zu wollen. Was wäre das eine Symbolik, pünktlich zum Anstoß ein krachendes Gewitter …

Krieg auf dem Rasen? Showdown der Systeme bei der Explosivpartie der WM? Bis zum ersten Foul dauerte es lange 155 Sekunden. Die Ehre nahm sich dann Ali Daei mit einem harmlosen Hakler nahe der Seitenlinie. Doch dann blieb es so harmlos wie beim mittelenglischen Senioren-Crocket. Es wurde ein rasend spannendes Match größter Fairness, ohne jede hässliche Szene. Man gab sich den Ball nach dem Motto „Hier, bitte schön, Herr Feind“, man half sich gegenseitig auf nach einem Sturz. Eine Großkundgebung der Höflichkeit, des Respekts. Die Blumengebinde der iranischen Spieler für die Kontrahenten als gestenreiches Geschenk vorher, danach das orkanartig umjubelte gemischte Team-Foto der USIrAn-Doppelelf kurz vor dem Anstoß. Wer hätte das vorher gedacht. Karim Bagheri nachher: „Diesen Moment werde ich nie vergessen.“ Es war wider jede Prognose. Als hätten CIA und der iranische Geheimdienst ihre Orders gegeben. Oder, ganz banal, die Vernunft Regie geführt.

Schon vor dem Spiel wogen sich die geschätzt 25.000 Iranerinnen und Iraner im Stadion zu Frank Sinatras Yankee-Hymne „New York, New York“. Und die US- Supporters stiegen ein in den Takt zum Orient-Rock. Eine blonde junge Frau mit den Iran-Farben im Gesicht hatte sich auf den Rücken krakelig „I love USA, I love Iran“ gepinselt. Und alle machten Fotos: Stars and Stripes and Iran-flag. Gelungen war, was Irans Kicker Khakpour gehofft hatte: „Möge die Welt lernen, dass wir nicht nur Terroristen sind und den ganzen Tag auf Kamelen durch die Gegend reiten.“

„Scheiße, hier jibbet kein Kölsch“, tönte es nachher aus einer Kneipe. Farhad und Shariar, zwei junge Iraner aus Bonn, feierten und zeigten lachend auf das Marokko-Girlie, das mit ihrem Schild herumhüpfte: „Iran, 7.000 Jahre Zivilisation“. „So ist das“, sagte Shariar, „wenn es darauf ankommt, halten alle Muslime zusammen, über alle Grenzen und Ideologien hinweg.“ Und brachte mit seiner Iranfahne gleich ein halbes Dutzend bedröppelt dreinschauende Amerikaner zum Jubeln. „Okay, boy, let's have some beer together.“

Bernd Müllender, 23. 6. 1998