Wir und die Neandertaler

Der Leipziger Wissenschaftler Svante Pääbo hat die Paläogenetik begründet, historische Forschung mittels Genanalyse. Für seine Forschung erhält er nun den Medizin-Nobelpreis

Der Knochen spricht, dank effizienter DNA-Sequen­zierungs­methoden Foto: Frank Vinken/Max-Planck-Gesellschaft/ap

Von Heike Holdinghausen

Wie hat sich der moderne Mensch entwickelt? Wann hat er begonnen, mit Tieren zusammenzuarbeiten und zu leben und sie zu Haustieren zu machen? Wie hat die Natur die Entwicklung des Menschen beeinflusst, und wie der Mensch die Natur? Interessante Antworten auf diese Fragen gibt seit Jahren das Leipziger Institut für evolutionäre Anthropologie. Nun hat einer der Direktoren des Max-Planck-Instituts, der schwedische Paläogenetiker Svante Pääbo, für seine Forschung den Nobelpreis für Medizin erhalten.

„Svante Pääbos bahnbrechende Entdeckungen haben wichtige neue Erkenntnisse über unsere Evolutionsgeschichte geliefert“, sagte Anna Wedell, die Vorsitzende des Nobelkomitees. Pääbos Forschung habe gezeigt, dass der moderne Mensch (Homo sapiens) und der Neandertaler (Homo neandertha­lensis) gemeinsame Kinder gehabt hätten. Die Übertragung von Genen zwischen den Menschenarten wirke sich auch darauf aus, wie das Immunsystem des modernen Menschen heute auf Infektionen reagiere, sagte Nils-Göran Larsson vom Nobel-Gremium. Menschen außerhalb Afrikas haben etwa ein bis zwei Prozent Neandertalergene. Von aktuellem Interesse war diese Erkenntnis im vergangenen Jahr gewesen. Da hatte Pääbo in der Zeitschrift Nature eine Studie veröffentlicht, nach der Träger einer Genvariante, die vom Neandertaler stammt, das Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 erhöhe.

Aufsehen erregten Pääbo und seine Mitarbeiter auch mit der Entdeckung des sogenannten Denisova-Menschen. Dies gelang, indem sie DNA aus einem winzigen Fingerknochenfragment extrahierten, das in einer Höhle in Sibirien gefunden wurde. Dies führte zur Anerkennung dieser Frühmenschenspezies. Auch Anteile des Erbguts des Denisova-Menschen wurden für bis zu sechs Prozent der modernen Menschen in Asien und Südostasien nachgewiesen. Durch die Vermischung mit anderen Menschenarten habe Homo Sapiens seine Chancen, in neuen Umgebungen zu überleben, gesteigert, sagte Wedell.

Die Forschung von Pääbo eröffnete eine neue Sicht auf evolutionäre Prozesse und gibt damit detaillierte Einblicke in die Verwandtschaftsverhältnisse bereits ausgestorbener Menschengruppen, schreibt die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina aus Halle. Dabei „erforschte er einerseits die Kräfte, die das Genom direkt beeinflussen, wie Mutation, Rekombination und genetische Drift, andererseits aber auch die Auswirkungen von Selektion und Populationsgeschichte“, so die Leopoldina, deren Mitglied der Wissenschaftler ist.

Die Forschung von Pääbo eröffnete eine neue Sicht auf evolutionäre Prozesse

Pääbo studierte an der Universität Uppsala Ägyptologie und Medizin. Er promovierte in Immunologie und wies dabei nach, dass DNA in altägyptischen Mumien überdauern kann, und „erlangte so fachlichen Ruhm als Pionier des neuen Forschungsgebietes der Paläogenetik“, schreibt die Max-Planck-Gesellschaft in ihrem Gratulationsschreiben. Paläogenetik erforscht die Genome historischer Organismen und zieht daraus Rückschlüsse auf den Verlauf der Evolution. Seit 1997 arbeitet Pääbo als einer von fünf Direktoren am neu gegründeten Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Er ist der Sohn von Sune Berg­ström, der im Jahr 1982 den Nobelpreis für Medizin erhielt.

Der Medizin-Nobelpreis bildet den Auftakt einer Reihe von Nobelpreis-Bekanntgaben in dieser Woche. Am Dienstag geht es mit dem Nobelpreis für Physik weiter, am Mittwoch mit Chemie, wer den Literaturnobelpreis erhält, wird am Donnerstag bekanntgegeben. Die Preise sind mit zehn Millionen schwedischen Kronen dotiert (etwa 920 000 Euro) und werden für bahnbrechende Forschungen verliehen. (mit afp/dpa)