Aber die wollen doch nur fahren!

SPORT Gedopt oder naturbelassen – soll man über diesen feinen Unterschied wirklich noch reden? Doch, sagt unser Experte, und zwar rechzeitig vor dem Start der Tour de France

„Heute stellst du mir aber keine Dopingfrage, oder?“

ROBERTO DAMIANI, SPORTDIREKTOR DES ITALIENISCHEN LAMPRE-TEAMS, BEGANN MIT DIESEN WORTEN AUF DEM GIRO D’ITALIA DAS GESPRÄCH MIT EINEM JOURNALISTEN

VON JÜRGEN FRANCKE

Es musste wohl so kommen: Die US-Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen den siebenmaligen Tour-de-France-Gewinner Lance Armstrong eingestellt. Allerdings: Die Dopingvorwürfe gegen den jetzigen Triathleten sind keineswegs entkräftet. Armstrongs ehemaliger Teamgefährte Floyd Landis, selbst der Einnahme verbotener Substanzen überführt, hat seinen früheren Arbeitskollegen mehrfach beschuldigt. Und so will denn die US-amerikanische Antidopingbehörde Usada ihre interne Strafverfolgung fortsetzen.

Sollte es ein Ergebnis geben, hieße das womöglich wenig. Denn: Die lebenslange Olympiasperre überführter Dopingbetrüger ist unzulässig. Das hat der Internationale Sportgerichtshof Cas entschieden. Das Nationale Olympische Komitee Großbritanniens BOA hatte zwar im Sinne der Gerechtigkeit solch eine Sanktion verabschiedet. Aber diese sei nicht in Übereinstimmung mit den Regeln der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, so der Cas.

Das dürfte zum Beispiel den britischen Radprofi David Millar von der Profimannschaft Garmin-Barracuda freuen. Er wurde 2004 des Epo-Missbrauchs überführt. Da das britische BOA weltweit das einzige Olympiakomitee ist, das lebenslange Sperren für Dopingsünder eingeführt hat – übrigens bereits 1992 –, dürfte der Schotte Millar bei seinen „Heimspielen“ in London eigentlich nicht mitmachen. Aber wenn ausgerechnet die Wada einen Start zulässt …

Die unendliche Dopinggeschichte überschattet natürlich auch die kommende Tour de France, die am 30. Juni im belgischen Lüttich gestartet wird. Dass Doping auch bei der Frankreich-Rundfahrt verboten ist, steht außer Frage. Nur, von wem und wie Sünder bestraft werden, das ist nach wie vor uneindeutig. In Konkurrenz für mögliche Sanktionen stehen: Der Veranstalter der Tour, die Société du Tour de France. Die Nationale Französische Anti-Doping-Agentur. Die Welt-Anti-Doping-Agentur. Die Französische Staatsanwaltschaft. Die Belgische Staatsanwaltschaft. Die Schweizer Staatsanwaltschaft. Ein wenig unübersichtlich? Eher wohl chaotische Verhältnisse.

Die Radsportmanager der ProTeams – also der potenziellen Tour-de-France-Teilnehmer – hatten insgeheim gehofft, das leidige Dopingthema endlich von den Schultern zu haben. Nun müsse doch mal Schluss sein mit der Negativberichterstattung, war besonders in Spanien zu hören. Doch die Sperre des spanischen Radprofis Alberto Contador durch den Cas im Februar dieses Jahres – ihm wurde das Kälbermastmittel Clenbuterol im Körper nachgewiesen – rückte das Thema sofort wieder ins Rampenlicht. Contador verlor dadurch seinen Tour-Titel 2010. Und als im Frühjahr Theo de Rooij, der frühere Sportdirektor vom niederländischen Team Rabobank, zugeben musste, vom Dopingmissbrauch einiger seiner Fahrer gewusst zu haben, da steckten die Räder abermals fest im Dreck. De Rooijs Einlassungen, dass die Art und Wahl der verbotenen Stoffe unter die Eigenverantwortung der einzelnen Rennfahrer gefallen sei und der Teamarzt lediglich dafür gesorgt hätte, eine Gefährdung der Gesundheit der Profisportler zu vermeiden, ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Hätten Fahrer teaminterne Grenzen überschritten, so de Rooij, seien disziplinarische Strafen wie Startverbote verhängt worden. Honi soit qui mal y pense.

Zu Beginn des diesjährigen Giro d’Italia begann der Sportdirektor des italienischen Lampre-Teams, Roberto Damiani, ein Gespräch mit einem Journalisten mit den Worten: „Heute stellst du mir aber keine Dopingfrage, oder?“

Etwa zur gleichen Zeit bereitete im beschaulichen Mantua in Norditalien der Staatsanwalt Antonio Condorelli die Anhörungen in einem Dopingverfahren vor. Auf der Liste der Angeklagten ist auch der Name des Lampre-Stars Damiano Cunego zu finden. Ein Verdacht gegen den Kletterer und Zeitfahrer besteht seit Ende 2011. Die Verhandlung soll im Sommer 2012 beginnen.

Bei der Basken- und Katalanienrundfahrt zu Beginn dieses Jahres wurde Cunego jeweils Vierter und Sechster. Seine Tour-de-France-Teilnahme ist so gut wie sicher. Und beim russischen Team Katjuscha gab es den jüngsten (bekannten) Dopingfall im Radport. Im April wurde der Sprinter Denis Galimsjanow positiv auf Epo getestet. „Galimsjanow ist aus der Mannschaft gestrichen. Er hat mit Katjuscha nichts mehr zu tun. Aber ich werde das Gespräch mit ihm suchen, um zu erfahren, wer die Hintermänner waren“, erklärte Team-Manager Hans-Michael Holczer. Na, immerhin.

Der Radsport kommt nicht zur Ruhe. Wen interessiert also die diesjährige Tour de France überhaupt noch? Radportverrückte. Niemanden sonst. ARD und ZDF werden nicht live berichten, wenn die Pedaleure in diesem Jahr neun Bergetappen mit drei Bergankünften, zwei Einzelzeitfahren und neun Flachetappen zu bewältigen haben. Aber es gibt genügend Sportkonkurrenz. Wie wär’s Anfang Juli mit den Seniorenweltmeisterschaften im Orientierungslauf in Bad Harzburg? Die Damen und Herren gelten als sauber.