Museen verschlampen Reliquien

Der Patronengurt des Anführers der Ovambanderu könnte aus Braunschweig nach Namibia zurückkehren

Erst fast vergessen, dann umso bürokratischer drauf sitzen geblieben: Patronengurt aus Namibia Foto: Dirk Scherer/Städtisches Museum Braunschweig

Aus Braunschweig Benno Schirrmeister

Von wegen deutsche Ordnung: Bezeichnend für den Umgang hiesiger Museen mit Objekten aus kolonialen Zusammenhängen, aber auch für die Mühsal der Restitutionsverfahren ist die Geschichte vom Patronengurt des Kahimemua Nguvauva in Braunschweig.

Das Städtische Museum Braunschweig, Mitglied im niedersächsischen ­Paese-Projekt für post­ko­lo­nia­le Provenienzforschung und heute sehr problembewusst geleitet, ist selbstredend zur Deakzession bereit. Man hatte namibische Ex­per­t*in­nen das Objekt begutachten lassen, die dann auch eine Restitutionsforderung gestellt haben, wie es in einer Stellungnahme der Stadtverwaltung vom 16. November 2021 heißt. Aber nun muss doch der namibische Staat um die Rückgabe ersuchen, bevor etwas passiert. Und mal sehen, ob man nicht noch andere Stellungnahmen einholen muss.

Die bürokratische Pedanterie bildet einen schrillen Kon­trast zur bisherigen Missachtung des Objekts. Denn dass es in den Museumsdepots hat gefunden werden können, verdankt sich dem Drängen der Nachfahren Nguvauvas, der Beharrlichkeit der Journalistin Christiane Habermalz, sehr viel Glück sowie der geringen Größe der Braunschweiger Sammlung.

Mit kuratorischer Sorgfalt aber hat es nichts zu tun: Sortiert wurden Stücke ethnologischer Sammlungen in Deutschland bis Mitte des 20. Jahrhunderts meist nach dem Hempels-Sofa-Prinzip: Der Gegenstand wird auf Karteikarten vermerkt und dann irgendwo reingestopft.

Ist er jemals gezeigt worden? Nicht mal das haben Braunschweigs Museumswärter seinerzeit notiert. Aber immerhin schreibt Gustav Voigts in seinen privaten Aufzeichnungen, der Gürtel hänge dort, und der in Braunschweig geborene Reserveoffizier und Kaufmann hatte das Stück ja 1896 erbeutet und dem Museum überlassen: Er hatte Kahimemua Nguvauva verhaftet nach der Niederlage von Otjunda. Die Schlacht dort markiert den Beginn des Kampfs gegen die deutsche Kolonialisierung.

Nguvauva hatte die Ovam­ban­de­ro angeführt, die kaiserlichen Truppen metzelten sie nieder. Major Theodor ­Leutwein ließ ihr Land und Vieh an Siedler und Kollaborateure verteilen. Kahimemua Nguvauva wurde gefoltert und durchs Kriegsgericht verurteilt. Die ersten elf Kugeln des Erschießungskommandos am 11. oder 12. Juni 1896 ­trafen ihn, ohne ihn zu töten, heißt es. Dann soll er sich die Binde von den Augen gerissen und die Soldaten aufgefordert haben, auf seine Stirn zu zielen.

So jemand bleibt für immer Held und Mythos. Seine Taten werden besungen. Seine persönlichen Gegenstände sind historische Zeugnisse und Reliquien – das gilt gerade für den ­Patronengurt: Möglicherweise hatte der neben seiner säkularen eine sakrale Funktion als Ahnenschnur.

Vom Ururenkel Freddy Nguvauva hatte Christiane Habermalz vor Jahren die Geschichte vom heiligen Gürtel erzählt bekommen, der verschollen und in Feindeshand in Deutschland war. Ohne ihre Recherche wäre der Gurt verschwunden geblieben, in Braunschweig, verschlampt im Depot, unerforscht und unverstanden.