Roman von Nassir Djafari: Aufregende Zeitreise
Der iranisch-deutsche Schriftsteller Nassir Djafari hat mit „Mahtab“ seinen zweiten Roman vorgelegt. Der dritte ist in Arbeit. Zeit für einen Besuch.
Als sein Debüt erschien, hatte er schon ein Arbeitsleben hinter sich. Das war vor zwei Jahren. Jetzt sitzt der gerade siebzig Jahre alt gewordene Nassir Djafari an seinem dritten Roman. Ein fleißiger Spätberufener. Der studierte Volkswirt mag seine neue Tätigkeit, wie er gelassen erzählt. Jeden Tag, wenn möglich, setzt er sich vormittags an den Schreibtisch, wenn es gut läuft, auch noch am Nachmittag. 2022 ist nun sein zweiter Roman im Bremer Sujet Verlag erschienen: „Mahtab“. So lautet auch der Name der Protagonistin, einer Frau von etwa vierzig Jahren, die mit ihrem Mann Amin Hamidzadeh aus dem Iran nach Deutschland eingewandert ist.
Der Roman fokussiert das Jahr 1967. Ein Schicksalsjahr. Der Schah, Machthaber des Iran, besucht Berlin. Benno Ohnesorg wird in Berlin erschossen, Studierende und außerparlamentarische Bewegung revoltieren. Auswirkungen davon bekommt auch die Familie im Roman zu spüren. Vater, Mutter und drei Kinder.
Djafari erzählt ausnahmslos aus der Perspektive von Mahtab. Er hat sie der eigenen Mutter nachempfunden, sagt er im Gespräch. Es ist nicht ihre Biografie, aber vom Typ her sei sie ihr ähnlich: zurückhaltend und still. Auch ihr Mann Amin erinnere ein wenig an seinen eigenen Vater. Der sei ein sehr fürsorglicher und liebevoller Mensch gewesen. Doch alles andere sei literarisch konstruiert und erfunden, sagt Djafari.
Wir treffen uns auf ein Kännchen Tee im Frankfurter Palmengarten. Ein Ort, der in seinem Buch vorkommen könnte. Denn „Mahtab“ ist auch ein Frankfurt-Roman. Die Stadt am Main war damals Hotspot der Studentenproteste. Doch daneben erregte im Jahr 1967 auch der Bau der U-Bahn die Gemüter.
Zeitreise ins revoltierende Frankfurt
Mahtab arbeitet als Krankenschwester im Markus-Krankenhaus, privat versucht sie, als der Roman einsetzt, Autofahren zu lernen. Zur Erinnerung: Erst ab 1958 durften Frauen in Westdeutschland ohne die Erlaubnis ihres Mannes den Führerschein machen.
Djafaris Roman gleicht einer aufregenden Zeitreise, die ins revoltierende Frankfurt und zurück in den archaisch anmutenden Iran führt. In Rückblicken erfährt man, wie Mahtab aufgewachsen ist, welche Repressalien sie in der eigenen Familie erdulden muss, bis die Eltern sie in eine arrangierte Ehe mit dem älteren Amin schubsen. Das Geschehen in diesen Rückblicken ist nicht erfunden, Djafari hat es den Erzählungen der eigenen Mutter abgelauscht.
Mit seinen Eltern und seinen zwei Brüdern kam er selbst im Alter von 5 Jahren nach Deutschland. Nach seinem Studium hat er für verschiedene Entwicklungshilfeprojekte gearbeitet, die meiste Zeit für die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).
Drei Jahre hat er in Peru gelebt, ein halbes Jahr in Polen, und ist auch sonst weit in der Welt herumgekommen, um etwa politisch-wirtschaftliche Risikoanalysen zu erstellen. Mit 63 Jahren ist er in Ruhestand gegangen. Zuvor absolvierte er ein Schreibseminar auf Rügen, dessen Kursleiter ihn sehr ermutigte, dranzubleiben. Und das macht er seither.
In den Iran zurück, in die USA ausgewandert
2020 erschien dann der erste Roman: „Eine Woche, ein Leben“. Eine Vater-Sohn-Geschichte, die in Deutschland und in Peru spielt. Eigentlich wollte er ihn auf der Leipziger Buchmesse der Öffentlichkeit präsentieren, die wurde dann aber wegen Corona abgesagt. „Es war etwas mühsam“, sagt Djafari rückblickend.
Mit seiner Frau Anita Djafari, lange Jahre Leiterin des für außereuropäische Literatur engagierten Vereins Litprom in Frankfurt am Main, lebt er in Wehrheim, nahe Bad Homburg. Seine Eltern indes sind später wieder in den Iran zurückgekehrt. Und noch später dann in die USA ausgewandert. Und gegen Ende ihres Lebens wieder nach Deutschland gezogen, wo sie auch gestorben sind.
Wie die Kinder in seinem Roman hat auch Djafari seine Eltern bis zu ihrem Tod gesiezt. „Wir haben einen Höllenrespekt vor ihnen gehabt“, sagt er und widerspricht der Vermutung, das Siezen schaffe Distanz. Die Beziehung sei ganz im Gegenteil sehr eng gewesen, mit Knuddeln und Anfassen. Sein eigener Sohn indes duzt ihn und nennt ihn beim Vornamen. „Ich hätte mir gewünscht, dass er Papa sagt.“
Nicht nur Formen des Respekts, sondern auch Moralvorstellungen unterliegen dem Wandel der Zeit. Mahtab stammt aus einer sittenstrengen Familie und ist angesichts des libertinären Gehabes der jungen Generation in den 1960er Jahren fassungslos. Prompt findet sie in der Handtasche der Tochter eine Schachtel Antibabypillen. Ihr Mann bändelt derweil mit der offenherzigen Buchhalterin Ursula an, die sich am Badesee im Bikini räkelt.
Mahtab überfordern die Auswüchse deutscher Lockerheit. Als es ihr zu bunt wird, bricht sie aus. Es ist auch die Geschichte einer Emanzipation, wiewohl Djafari das Ende und das weitere Leben seiner Hauptfigur offen lässt. Ihr Mann führt einen Haushaltswarenladen, der sich großspurig „Kaufhaus Europa“ nennt. Sein fehlerhaftes Deutsch verschleiert er, indem er bei Bedarf ins Englische wechselt.
Mahtab indes spricht anfangs etwas gebrochen Deutsch, was in ihrem Fall meint, dass sie alles sagen kann, aber auf einige Worte und Fälle verzichtet. Das klingt dann so: „Herr Doktor. Vielen Dank. Sehr nett von Ihnen. Ich hier aussteigen. Ich muss zu meine Mann, zu Geschäft, mit meine Mann sprechen.“
Das höfliche Drumherumreden
Im Laufe des Romans verbessert sie ihr Deutsch; zudem eröffnet sie ein eigenes Konto, zuvor wurde auch ihr Gehalt auf das ihres Mannes überwiesen.
Auf Seite 88 heißt es: „Aber das war eine andere Welt damals.“ Djafaris Roman bezeugt das hier wie dort. Während nämlich in Deutschland Studierende auf die Straßen gehen und die Frauen sich ihrer Büstenhalter entledigen, ordnet der letzte iranische Schah Reza Pahlavi im Iran ein Verschleierungsverbot an. „Nichts blieb, wie es war.“ Ein Kernsatz des Romans. Für die Zeitreise, die sein Buch bietet, hat auch Djafari sich auf eine Art Zeitreise begeben, sich alte Filme und Bilder aus beiden Ländern angeschaut.
Nassir Djafari: „Mahtab“. Sujet Verlag, Bremen 2022, 332 Seiten,19,80 Euro
Seine iranische Herkunft bildet einen Teil seiner Identität, wie er sagt, und wenn er persische Musik höre, rühre ihn das immer sehr an. Das Gleiche passiere beim Anblick von typischen iranischen Landschaften. „Es ist eine Sehnsucht, die bleibt.“ Trotzdem empfindet er die Bundesrepublik und Deutschland, er wurde 1987 eingebürgert, als seine Heimat. „Wenn man mich auf den Mond schießen würde, würde ich mich nach Deutschland sehnen, hier bin ich schließlich groß geworden.“
Mittlerweile besitzt er die doppelte Staatsbürgerschaft und glaubt nicht, dass man sich hundertprozentig assimilieren könne. Die Unterschiede zwischen beiden Ländern kommen auch in „Mahtab“ immer wieder zur Sprache. Sei es, dass das Organisationstalent hierzulande gelobt wird oder die höflichen Umgangsformen der Iraner. Das höfliche, in vielen Schleifen Drumherumreden liegt auch Djafari: „Ich bemühe mich, Dinge diplomatisch anzusprechen.“
Im Gegensatz zu den Kindern im Roman, hat er selbst keine negativen Erfahrungen mit Rassismus gemacht. „Wir waren zwar die Ausländer damals, aber man hat uns immer gut behandelt.“ Auch sein nächster Roman dreht sich um in Deutschland lebende Iraner. Er spielt in der Gegenwart; mehr möchte Djafari zum jetzigen Zeitpunkt nicht verraten, wie er bestimmt, aber höflich sagt.
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