berliner szenen
: Immer schön lächeln

Mal wieder in der falschen Schlange. Vor mir scheinen alle den Wocheneinkauf für eine große Familie zu manövrieren. Von einer anderen Kasse lächelt ein junger Mann herüber, niemand hat ihn bisher gesehen. Die Frau vor mir ist schneller. „Ich bin Ihrem Lächeln gefolgt“, spricht sie den Kassierer an. Das sei sein Wesen, erklärt er gleich und gerne, er könne nicht anders. Es sei die Art seines Körpers, sich vor Unglück zu schützen. Keine schlechte Eigenschaft, findet die Kundin, aber er schränkt das ein. „Meistens ja, aber manchmal nicht. Auf andere wirkt das manchmal unpassend, zum Beispiel, wenn die gerade weinen.“ Und wenn er selbst gerade weine, fragt die Kundin. „Das habe ich zuletzt vor vier Jahren gemacht, seitdem hat sich mein Körper mit Lächeln auf Abwehr eingestellt.“

Am nächsten Tag sitzt er wieder an der Kasse, lächelt mich an. „Mich hat beschäftigt, was Sie gestern gesagt haben.“ Das gefällt ihm. „Echt? Warum denn?“ Mir ist durch den Kopf gegangen, was wohl vor vier Jahren passiert ist, vor welchem Unglück er sich seitdem schützen will – lächelnd. Plötzlich wird sein Blick unruhig, er hört mir nicht mehr zu, sondern springt auf, um einen Mann zu verfolgen. Der war, äußerlich seelenruhig, mit einer Flasche Kakao an der Kasse vorbeigeschlendert.

Mit dem Kassierer sind sofort zwei weitere Angestellte zur Stelle, offenbar hatten sie den Dieb schon im Blick. Der schmächtige Mann ist schnell, aber sie holen ihn ein und ringen ihn vor der Tür nieder. Mit aller Kraft wehrt er sich, vergeblich. Zwei jugendliche Kunden wollen helfen ihn festzuhalten. Aber der mittlerweile zurückgekehrte Kassierer wehrt ab. Sein Blick ist so wütend, als sei er persönlich beklaut worden. Er hoffe nur, dass die Polizei diesmal schneller eintrifft. Er setzt sich an die Kasse und lächelt wieder.

Claudia Ingenhoven