berliner orte für die kunst, teil 2
: Schaukelpferd in der Europacity

Öffentlich wurde

der Missstand

eher zufällig

Warum das Gebäude Am Hamburger Bahnhof 3 klangvoll „Kunstcampus“ heißt? An der Kunst rund um den charakterlosen Wohnneubau kann es nicht liegen. Ende der Nullerjahre residierten hier in der sogenannten Halle am Wasser hinter dem Hamburger Bahnhof einige Galerien. Heute steht ein einsames, gelbes Kinderschaukelpferdchen inmitten einer dürre­geplagten Grünfläche (laut Hausordnung von 8 bis 20 Uhr zu begehen). Die trennt den Kunstcampus von den 250 Meter langen, an der Schauseite mit grau-schwarzem Blech verkleideten Rieckhallen. Kunstinteressierte kennen sie eher von ­innen. Der einst für Bahnlogistik genutzte Hallenschlauch dient als Ausstellungs- und Depotfläche, seit sie der Sammler und Nazi-Erbe Friedrich Christian Flick mit eigenem Geld pragmatisch auf Vordermann gebracht hatte, um seine – allerdings im Herbst letzten Jahres aus Berlin abgezogene – Kunstsammlung unter dem Dach des (National-)­Museums für Gegenwart präsentieren zu können. Aktuell breitet sich dort die „Berlin ­Biennale“ aus – unentgeltlich und ohne jeden inhaltlichen Bezug zum eigenen Programm, lässt das Museum wissen.

Der Hamburger Bahnhof zählt zum Komplex der Nationalgalerie, untersteht zudem der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK). Die ist für teure Neubauprojekte wie das „Museum des 20. Jahrhunderts“ am Kulturforum (Kosten 450 Millionen Euro) und gleichzeitigen Instandhaltungsrückstau berühmt. Berüchtigt ist die Resilienz der SPK gegen Reformen, trotz der Negativ-­Evaluation durch den Wissenschaftsrat 2020 und lauter Kritik aus dem Bundesrechnungshof. Im aktuellen Bundeshaushalt stehen allein 14,9 Millionen „Sondermittel“, um ärgste Löcher zu stopfen. Geld für Personal und Programm ist und bleibt auf absehbare Zeit dagegen knapp. Auch so lässt sich das Biennale-Gastspiel zur Urlaubshochsaison im Museum erklären.

Kurios, dass die SPK das Bahnhofsgebäude aber ebenso wenig gehört wie die Rieckhallen. Weder Staat noch Berlin sind Eigentümer der Grundstücke, sondern die börsennotierte „CA Immo“ aus Österreich. Diese entwickelt das Quartier zur – insgesamt kunstbefreiten – Europacity­ und will auf dem Rieckhallen-Grund bauen. Dort sieht der Berliner Bebauungsplan praktischerweise Mischnutzung vor, ohne Kunst als „identitätsstiftenden Faktor“.

Öffentlich wurde der Missstand eher zufällig: im Zusammenhang mit dem Abzug der Flick-Sammlung. Während der Bund den Hamburger Bahnhof seither teuer für eine Laufzeit von 25 Jahren angemietet hat – die monatliche Miete von 200.000 Euro für den sanierungsanfälligen Bau will man bei der Bundesbeauftragten für Kunst und Medien (BKM) auf Nachfrage nicht bestätigen – bemüht sich das Land tapfer, die Hallen zu sichern. Dafür wollen die Österreicher aber kein Geld. Man wünscht sich, wie in einem Memorandum of Understanding vom September 2021 festgelegt, lieber einen Tausch: ein schönes Wassergrundstück am Friedrich-List-Ufer etwa, im Paket mit einen Grundstücksteil an der Invalidenstraße 60. Dort plant das Land Berlin aber eigene, notwendige Verwaltungsbauten. Dieser Plan würde durch den Tausch obsolet, nicht die dringende Raumfrage.

Am 30. Juni endete der Mietvertrag zwischen CA Immo und Museum über die Nutzung der Rieckhallen, eine letzte Schonfrist verstreicht Ende September. Inhaltliche Argumente, warum man Hallen samt Hamburger Bahnhof erhalten soll, liefert das Haus nicht. Wie auch, ohne Planungssicherheit und Budget? Neben bescheidenen eigenen Beständen zeigt man ­daher prominent Privatsammlungen, diesmal von Axel Haubrok und, wieder mal, Erich Marx. Gut, dass die Biennale Mitte ­September schließt. Genug Zeit, auszuräumen. Hans-Jürgen Hafner