berliner szenen
: Entspannt, dann panisch

So müsste es öfter aussehen auf dem Kulturforum. Es wimmelt nur so vor Menschen auf dem sonst so verlassen wirkenden Pflaster zwischen Philharmonie und Neuer Nationalgalerie. Ein Straßenabschnitt ist abgesperrt. Von weitem fallen weiß gedeckte, im Oval angeordnete Tische auf. Wer hat wohl diese farbenprächtigen Blumensträuße darauf zusammengestellt? Dazu stehen circa 300 Stühle in der Nachmittagssonne.

Gleich wird es Kaffee von der Berliner Rösterei geben, dazu Kuchen, Limonade, ja sogar Riesling. Alles umsonst, öffentlich gefördert. Im Nu hat sich eine Schlange gebildet. Die meisten sehen nicht so aus, als könnten sie sich sonst keinen Mohnkuchen leisten. Im Gegenteil, der lässige Understatement-Stil von Museumsbesucherinnen dominiert. Und sagt doch längst nichts mehr über die Einkommensverhältnisse aus. Vielleicht leistet sich die ältere Dame, die gerade eine kleine Flasche Riesling in ihre Handtasche gleiten lässt, sonst keinen Wein mehr.

Andere haben Picknick-Körbe mitgebracht, packen Essen und Getränke aus und laden ihre Tischnachbarn ein zu probieren. Zwischendurch räumen livrierte Kellner Gläser, Teller und Kuchenreste ab. Es soll schön aussehen für die Nächsten, die hier Platz nehmen. Eine herrlich entspannte Stimmung liegt in der Luft, nicht die Raff-Mentalität, die an Buffets sonst oft vorherrscht, sondern das Bedürfnis nach Gemeinschaft.

Auf der Brüstung der Nationalgalerie liegt ein Pärchen nebeneinander auf dem Bauch und beobachtet die Szenerie. Der Mann ist begeistert, geradezu verzückt spricht er von der Schönheit dieses Gastmahls, einem Kunstwerk gleich. Auch die Frau fühlt sich wohl: „So stell ich mir meine Hochzeit vor.“ Von jetzt auf gleich wechselt der Gesichtsausdruck des Mannes von Verzückung zu Panik. Claudia Ingenhoven