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Am S-Bahnhof Sonnenallee wird's kuschelig Foto: Jens Gyarmaty

Tierkostüm-Festivals Furry ConventionsMehr als nur ein Kink

Furrys sind Menschen, die in Tierkostüme schlüpfen. Viele Teilnehmende der Eurofurence 2022 wollen sich so charakterlich neu erfinden.

A m S-Bahnhof Sonnenallee in Berlin steige ich aus, zusammen mit zwei jungen Männern mit schwarzen T-Shirts. Eigentlich unauffällige Typen. Eigentlich: Der eine trägt einen Wolfskopf unter dem Arm, der andere einen Koffer, aus dem mich die Glubschaugen eines Einhorns anstarren.

Wir haben das gleiche Ziel: Die Eurofurence, Europas größte Furry-Messe. Ein Furry ist ein anthropomorphisierter Charakter, also ein Tier mit menschlichen Eigenschaften. Die Fans entwickeln die Charaktere, mit denen sie sich identifizieren, selbst. Sie tragen mit Schaumstoff gefüllte Pelzanzüge aus Kunstpelz, genannt Fursuit. Auf der Messe tummeln sich Wölfe, Füchse und Papageien, alle sehen irgendwie gleich und doch irgendwie anders aus.

Jorinda, heute in Zivil, ist als Furry eine selbstbewusste, freche Möwe. Sie erzählt, dass so ein Pelzanzug im oberen Preissegment auch mal 10.000 Euro kostet. Denn diese seien von Künst­le­r:in­nen handgefertigte Unikate. Der Prozess vom Entwurf zum fertigen Kostüm dauere meist Monate.

Jorinda sagt auch, dass es im Kopf eines solchen Kostüms 60 Grad werden könne. Ein Furry habe mal ein Thermometer mitgenommen und sich das Ding in den Pelzkopf gesteckt. Ich frage mich: Warum investieren Menschen mitunter Tausende Euro, um in einem Kostüm zu schwitzen? Die Antworten sind so vielfältig, wie die Tiere auf der Messe. Viele möchten Freude in die Welt bringen, manche sich selbst neu erfinden.

Dieser Fuchs ist extra aus Nürnberg angereist Foto: Jens Gyarmaty

Kiba ist ein Wolf, der sich im Kostüm aufgeschlossener fühlt als der Mensch, der sich dahinter verbirgt. Kiba zu leben gebe ihm die Möglichkeit „jemand anderes zu sein“, erzählt mir der Wolf. „Aber es ist auch schön, Menschen lächeln zu sehen, wenn sie ein Foto von mir machen oder ich sie umarme.“

Nicht alle möchten sich charakterlich neu erfinden. Manche geben ihrem Inneren lediglich einen neuen Ausdruck, wie die tollpatschige Katze Fenny. „Sie ist mein Ebenbild“, sagt Fenny, „so bin ich auch sonst.“

Die Eurofurence ist Europas größte Furry-Messe Foto: Jens Gyarmaty

Drinnen, in den Hallen des Hotels, in dem die Messe stattfindet, sitzen jede Menge Künstler:innen. Sie zeichnen Badges, eine Miniversion des eigenen Tiercharakters, und nehmen Aufträge für neue Fursuits an. Einige der Künst­le­r:in­nen sind so beliebt, dass Fans stundenlang warten, um mit ihnen zu sprechen. Das Warten scheint die meisten nicht zu stören. Sie machen es sich auf dem Boden gemütlich und quatschen.

Typische Gesprächsthemen sind Kunst, Musik oder Computerspiele. Die Szene habe aber auch Kontroversen, erzählt mir ein Fuchs mit Brille, der aus Nürnberg angereist ist. „Es gibt beispielsweise Leute, die Poodler nicht mögen. Poodler sind Leute, bei denen man Haut sieht. Die werden oft von den Leuten gehatet, beleidigt und niedergemacht, was echt scheiße ist.“

Fans entwickeln die Charaktere, mit denen sie sich identifizieren, selbst Foto: Jens Gyarmaty

Poodler werden gehatet, „weil das Zeigen von menschlicher Haut angeblich die Magie des Kostüms ruiniere“, sagt der Fuchs. Aber gerade an heißen Tagen wie diesen finde er Hautzeigen okay. Es sind immerhin knapp 30 Grad. Und so ein Fursuit kann auch mal 20 Kilo wiegen.

Das Thema, über das hier niemand so recht mit mir sprechen möchte, der Elefant im Raum, ist Sex. Aus gutem Grund: Dass die Kostüme nur ein Kink seien, eine unkonventionelle sexuelle Vorliebe, ist ein Vorurteil, mit dem viele hier nichts anfangen können.

„Natürlich gibt es Leute, die das als Kink sehen, aber der größte Teil der Leute ist normal“, erzählt mir der Fuchs mit Brille. Der Wolf, der sich von der Seite angeschlichen hat, sieht es ähnlich: „Ich denke, alles kann ein Kink sein, um ehrlich zu sein. Ich schätze, ein Teil davon ist wahr, aber es dreht sich um so viel mehr als das. Doch das ist nun mal der Teil, der den Medien die meisten Klicks gibt.“

Furrys tragen mit Schaumstoff gefüllte Pelzanzuege aus Kunstpelz, genannt Fursuits Foto: Jens Gyarmaty

Ein zweiter Fuchs sagt: „In jedem Outfit kann man Sex haben und ohne jedes Outfit kann man Sex haben. ­Furrys haben vielleicht auf ihre Weise Sex. Ich würde es nicht nur als Vorurteil sehen.“ Sich einfach so in dem Ding zu bewegen sei anstrengend genug.

Die geduldig Wartenden werden vom Sicherheitspersonal Stück für Stück weitergewinkt. Sie dürfen in einen zusätzlichen Raum, genannt Dealer’s Den. Hier sitzen die Künst­le­r:in­nen und hier dreht sich alles um Tiere: Kuscheltiere, menschengroße Plüschtierköpfe, Zeichnungen von Fantasietieren, Prototypen für Fursuits von allen Körperteilen. Das hier sind die heiligen Hallen der Veranstaltung.

Manche Furrys erkennt maus erst auf den zweiten Blick Foto: Jens Gyarmaty

Viele Furrys sind sowohl von Stofftieren als auch von lebendigen Tieren begeistert. Der ukrainische Künstler Leonard ­Elstar etwa verkauft seine Plüschkunst, um Geld in die Heimat zu schicken. Auf seiner Spendenbox stehen drei Adressaten: zwei Tierheime und das ukrainische Militär. Denn unter dem Angriffskrieg auf die Ukraine leiden auch Tiere. Haustiere können dank Sonderregelungen der Veterinärbehörden in Rumänien, Ungarn und Polen einfacher als in Friedenszeiten mitimmigrieren. Nutz- und Wildtiere haben einen schwereren Stand.

So teilte etwa das ukrainische Unternehmen UkrLandFarming dem Nachrichtendienst Bloomberg Mitte März mit, dass drei Millionen Hühner zu verhungern drohten, weil das russische Militär das Futterversorgungssystem beschoss. Die Unterstützung vor Ort bleibe oft an Tierschutzorganisationen und an Tierheimen hängen, erklärt Elstar. Deshalb spende er sein Geld an Tierheime in seiner Heimatregion.

Irgendwann endet auch die flauschigste Zeit des Jahres. Dann nehmen auch Furrys den Zug nach hause Foto: Jens Gyarmaty

Kiba, der Mensch im Wolfskostüm, erzählt, dass er jahrelang in einem Tierschutzgebiet mit Wölfen gearbeitet habe, bevor er selbst zu einem wurde. Er sagt: „Bei Conventions gibt es normalerweise Wohltätigkeitsorganisationen für Tiere und solche Dinge.“

Das Hotel Estrel an der Sonnenallee füllt sich langsam. Die Mitarbeitenden des Hotels kennen den Spaß: Die Konferenz findet hier seit 2014 jedes Jahr statt. Die Kostüme, das Rumgehüpfe, die Massen, das alles scheint sie nicht zu stören. Zumindest hat sich der Rezeptionist Häschenohren aufgesetzt.

Ein anderer Mitarbeiter verrät mir, dass er lieber das ganze Jahr die Stofftierchen hier hätte „als diese Schlipsträger, die hier reinkommen und sich für was Besonderes halten“. Zum Glück ist es nächstes Jahr schon wieder so weit.

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1 Kommentar

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  • Ich weiß, dieser Artikel ist schon älter. Aber die nächste EF steht schon in den Startlöchern! Dieses mal in Hamburg! Meine pelzigen Freunde, auf geht's! Machen wir Hamburg bunter als es Queers tun!

    :3



    *flausch*