Was kommt nach in den Parteien?

Organisationen wie Kirchen, Vereine und eben Parteien leiden unter Mitgliederschwund – vor allem bei den Jüngeren. Sterben Mitgliederparteien wie die SPD aus? Die Parteiführung ist stolz auf ihren nicht mehr ganz so jungen Nachwuchs – doch nicht alle fühlen sich wohl. Ein Ortsvereinsbesuch

„Da habe ich am eigenen Leib gespürt was es heißt, benachteiligt zu sein“Wenn die alten Partei-Genossen nicht mehr mit den wenigen Jungen reden

Draußen vor dem Bürgerhaus Weserterrassen ist Sonne, Bier und Abendstimmung. Drinnen ist Mief, Mineralwasser und Hartz IV. Es ist SPD-Ortsvereinssitzung in Peterswerder und die Genossen blasen Trübsal – wegen der verlorenen Wahl in Nordrhein-Westfalen und den schlechten Chancen bei der vorgezogenen Bundestagswahl im Herbst. „Ich sage hier gar nix, wenn die Zeitung dabei ist“, sagt ein Mann mittleren Alters, der sich zurücklehnt und die Arme demonstrativ vor dem Bauch verschränkt.

Dabei haben die Sozialdemokraten an diesem Abend Grund zur Freude. „Wir sind einer der Ortsvereine, in denen es noch Neumitglieder gibt“, sagt Frank Pietrzok, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter. Dabei verliert die Partei kontinuierlich an Mitgliedern, im Bund wie in Bremen. Nur noch neun Prozent der SPD-Mitglieder in der Hansestadt sind unter 35 Jahre alt. Was treibt junge Leute in Zeiten, in denen die SPD im Stimmungstief steckt, noch in die Partei?

„Ich will nicht, dass die Schwachen in diesem Land keine Chance mehr haben.“ Michael Keller sagt das ernst und man glaubt es dem nicht mehr ganz so jungen Neumitglied. Mit 33 Jahren gehört er noch zu der Alterskohorte, die in der SPD als Nachwuchs gilt. Erst seit kurzem ist er in der Partei. „Das ist für mich ein Statement, da kann ich doch keinen Rückzieher machen, weil es für die SPD mal nicht so gut läuft“, sagt er.

Der Entschluss, in eine Partei einzutreten, ist bei dem Bremer langsam gereift. Er hat seine Mutter gepflegt und so gemerkt, wie Gesundheitspolitik funktioniert. „Da kam mal ein Rollstuhl zu spät, dann hakte es beim Geld. Da habe ich am eigenen Leib gespürt was es heißt, benachteiligt zu sein. Da versagt die Politik“, meint Keller, der den Kopf nicht in den Sand gesteckt hat. „Meckern können viele, ich wollte auch was machen.“ Er ging zu verschiedenen Parteien, las Programme, informierte sich. „Nirgendwo war ich richtig zufrieden, aber am Ende war ich zu 51 Prozent bei der SPD – und dann bin ich eingetreten.“

„Echt? Das hast du gemacht?“, fragt Tine Stange ihren neuen Parteigenossen. Die 34-Jährige ist auch neu in der Bremer SPD, überwiesen vom bayerischen Landesverband. Seit 13 Jahren ist die junge Frau Genossin und hat ihre gute Laune nicht verloren. „Die SPD ist für mich auch ein bisschen Heimat“, sagt sie. Gewöhnt hat sie sich in Bayern daran, auch wenn die SPD in ihrer Heimat Franken nicht so sehr wie in anderen Landesteilen gegen eine übermächtige CSU ankämpfen musste. Rituale, Fahnen, Lieder – auch das reizt Tine Stange an der SPD. „Ich bin dabei, weil die Partei eine Tradition hat, mit der ich mich identifizieren kann. Der Einsatz für soziale Gerechtigkeit und Demokratie, das findet man so bei keiner anderen Partei.“

Tradition spielt auch bei Sabine Linke eine Rolle. Großvater und Vater waren schon in der Partei, trotzdem stammt sie nicht aus einem klassischen Milieu, aus dem die SPD bis in die sechziger Jahre einen Großteil ihrer Mitglieder rekrutierte. Der SPD gelang es, eine Organisationskultur zu entwickeln, die durch Vereine und Verbände, Arbeiter und später auch Angestellte an die Partei heranführte. „Von der Wiege bis zur Bahre“ geleitete die SPD ihre Mitglieder, mithin von der Kindergruppe der Arbeiterwohlfahrt, über die Jugendzeltlager der Falken, den Arbeiterfußball, -sänger oder -radfahrverein bis zum Begräbnis, finanziert durch eine spezielle Sterbekasse. In den Vereinen konnten sich die sozial Schwächeren verständigen, hemmungslos über die Kapitalisten herziehen und ganz praktische Hilfen für ihr Leben finden. Das verschaffte der Partei dauerhafte Mehrheiten in industriellen Regionen und in den Großstädten. Bis heute können Nachkommen der alten „Milieuinsassen“, die durch die Politik ihrer Mütter und Väter zu lukrativen Studienmöglichkeiten und Jobs gekommen sind, in sozialdemokratisch dominierten Verwaltungen mit dem richtigen Parteibuch Karriere machen. Doch mit der Individualisierung, der zunehmenden Bedeutung des Fernsehens, der abnehmenden Vereinskultur lösten sich die Milieus weitgehend auf. Großorganisationen wurden unattraktiver, viele Menschen suchen individuellere Formen der Gesellschaft. „Heimatlosigkeit“ nennen das die Politologen Tobias Dürr und Franz Walter.

„Heimatlos bin ich nicht, aber die SPD ist nicht meine Heimat“, sagt die Nachfahrin der sozialdemokratischen Familie. Sabine Linkes Freunde sind nicht alle sozialdemokratisch geprägt. Die junge Frau arbeitet bei einer Bank. „Karriere durchs Parteibuch? Das fällt bei mir flach“, sagt die junge Frau. Und auch nach Posten in der SPD strebt sie nicht. „Klar machen wir im Wahlkampf mit, aber ich muss hier jetzt keine große Rolle spielen“, sagt sie. Doch der Ortsverein wählt sie und Tine Stange schon mal als Delegierte zum Unterbezirksparteitag. Tine Stange mag die Diskussion mit Leuten, die ähnlich denken wie sie. Die Genossin fühlt sich wohl in der Partei.

„Heimisch werden in der SPD?“, fragt Michael Keller. Das kann er sich noch nicht vorstellen. Er ist nach der Hälfte der Debatte aus der Ortsvereinssitzung rausgegangen. „Da hat doch keiner von den Alten auch nur ein Wort mit uns gesprochen“, sagt er. Nicht mal begrüßt worden sei er. Genervt ist er von Genossen wie dem Mann, der nichts sagen will, wenn die Zeitung dabei ist. „Ehrlicher soll die Politik werden und die SPD soll den Leuten sagen: Wir lassen euch nicht allein mit Hartz IV.“ Auf der einen Seite seien sie im Ortsverein stolz auf ihre neuen Mitglieder, auf der anderen Seite kümmere sich „kein Schwein“ um sie. Keller lässt sich davon nicht irritieren. Er fährt mit anderen Neumitgliedern nach Berlin, eine Initiative der Bremer Parteiführung. Davon erhofft sich Keller eine bessere Anbindung. Und auch im Ortsverein will er nächstes Mal Tacheles reden: „Denen werde ich beim nächsten Mal sagen, dass man so nicht mit uns umgehen kann.“ kay müller