Olaf Scholz kriegt nicht mehr Gas aus Norwegen

Von seiner Skandinavien-Reise er­hoffte sich der Kanzler zusätzliche Gaslieferungen. Das ist gescheitert

„Wir erleben, dass große Nationen wie Deutschland nur an sich denken“

Von Reinhard Wolff, Stockholm

Nein, Norwegen kann nicht mehr Gas liefern. Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz gehofft hatte, vom Besuch bei seinem sozialdemokratischen Amtskollegen Jonas Gahr Støre in Oslo mit der Zusage zusätzlicher Erdgaslieferungen nach Hause zu kommen, wurde er enttäuscht. Die Kapazitäten seien bereits erschöpft, beschied ihm der Ministerpräsident: Norwegen – nach Russland und Katar weltweit drittgrößter Gasproduzent – liefere bereits das, was die Gasfelder maximal hergeben.

Gahr Støre musste Scholz im Gegenteil darauf vorbereiten, dass Norwegen möglicherweise seine Stromlieferungen nach Deutschland herunterfahren werde. In einem Interview mit der Osloer Tageszeitung Aftenposten, das am Tag des Kanzlerbesuchs erschien, hatte er das bereits angekündigt: „Jedes Land muss Verantwortung für die Nachhaltigkeit seines Energiesystems übernehmen“, erklärte er da.

Für Norwegen heiße das, dass man nun in erster Linie darauf achten werde, die Kapazität seiner Wasserkraftreserven für den kommenden Winter zu stärken: „Diese nationale Verantwortung haben wir.“ Es könne daher sein, dass der Stromexport durch das im vergangenen Jahr eröffnete Nordlink-Kabel nach Deutschland reduziert oder gestoppt werden müsse. Das Gleiche gelte für die Verbindungen nach Dänemark und Schweden.

Das ist eine Kehrtwende der norwegischen Regierung. Im Wasserkraftland Norwegen wird infolge schneearmer Winter und der schlimmsten Trockenheit im Süden und Osten des Landes seit 140 Jahren das Wasser knapp. Das Füllniveau der Stauseen befindet sich teilweise auf einem historischen Tiefstand. Was dazu beigetragen hat, dass die Strompreise im Süden des Landes kräftig gestiegen sind.

Vor einem Monat hatten nur die rechtspopulistische Fortschrittspartei und die linke Rødt darauf mit der Forderung reagiert, den Stromexport zu beschränken. Gahr Støre hatte einen staatlichen Eingriff in den Strommarkt abgelehnt: Das würde einen Bruch internationaler Abkommen und Verträge bedeuten.

Anfang August hatte dann Energieminister Terje Aasland angekündigt, man müsse für den Fall außergewöhnlicher Umstände mit der Gefahr kritischer Situationen für die nationale Stromversorgung auch darauf vorbereitet sein, den Stromexport zu begrenzen. Am Montag erklärte nun auch Gahr Støre, oberste Priorität für Norwegen habe ein ausreichendes Füllniveau der Wasserspeicher: „Dafür sind wir bei unseren Vertragspartnern auf Verständnis gestoßen.“

Den Energieproblemen in Deutschland wird in Norwegen und Schweden ein Großteil der Verantwortung für die rekordhohen Strompreise zugeschoben, die die einheimischen VerbraucherInnen nun zahlen müssen. Zeitungskommentare wie „Es ist nicht einzusehen, warum sich schwedische Haushalte wegen Deutschlands verfehlter Energiepolitik ruinieren sollen“ – so die schwedische Göteborgs Posten – oder „Wir erleben, dass große Nationen wie Frankreich und Deutschland nur an sich denken“ – so das norwegische Stavanger Aftenblad – sind derzeit an der Tagesordnung.

Auch Gahr Støre wurde im Aftenposten-Interview gefragt: „Sollen norwegische Verbraucher dafür zahlen, dass Deutschland seine Atomkraftwerke abgeschaltet und sich so völlig abhängig von russischem Gas gemacht hat?“ Man könne „sehr wohl diskutieren“, so seine Antwort, „ob Deutschland seine erneuerbare Stromproduktion so ausreichend ausgebaut hat, um damit den Ausfall bei der Atomkraft zu kompensieren“.

Wenn die Energiezusammenarbeit zwischen Norwegen und Deutschland damit aktuell ausgereizt ist, verständigte man sich aber jedenfalls auf eine Entwicklung der langfristigen Zusammenarbeit in den Bereichen Wasserstoff- und Batterieproduktion, Offshore-Windkraft und beim Thema der Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid. Norwegen verspricht sich von der CCS-Technik eine neue Einnahmequelle.