Fatma Aydemir Red Flag
: Vier Tote durch Polizeigewalt in einer Woche

Foto: privat

Wir haben ein Polizeiproblem. Und das nicht erst seit ein paar Tagen. Wenn sich die Todesfälle durch Polizeigewalt so häufen wie in der letzten Woche, dann ist das ein Grund mehr, alarmiert zu sein. Im Frankfurter Bahnhofsviertel wurde ein wohnungsloser 23-Jähriger am Dienstag vergangener Woche mit einem Kopfschuss von Polizeibeamten getötet. Am Tag darauf erschoss die Polizei einen 48-jährigen Kölner, der sich gegen die Zwangsräumung seiner Mietwohnung gewehrt hatte. Beide Opfer sollen mit Messern bewaffnet gewesen sein. Am Sonntag verstarb ein 39 Jahre alter Mann im Kreis Recklinghausen nach Fixierung und Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei – der Mann hatte in einer Wohnung randaliert.

Nicht nur in diesen drei Fällen stellt sich dringend die Frage, wie unfähig die Polizei im Umgang mit aufgebrachten, existenziell bedrohten, traumatisierten oder unter Drogen­einfluss stehenden Menschen sein muss, dass sie ein tödliches Ende nehmen. Am Montag kam es zu einem weiteren Fall: Ein suizidaler 16-Jähriger, der unbegleitet aus dem Senegal geflohen und in einer Jugendhilfeeinrichtung in Dortmund untergekommen war, wurde getötet. Ein Betreuer habe die Polizei verständigt, weil der Jugendliche mit einem Messer unterwegs gewesen sei und „bedrohlich“ gewirkt habe. Bei einem Polizeieinsatz wurde der Junge von fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole getroffen. Fünf Schüsse, weil er ein Messer bei sich trug, mit dem er sich offensichtlich vor allem selbst verletzte? Wie konkret kann eine Bedrohungslage sein, dass mehrmals mit einer MP5 auf einen Minderjährigen gefeuert werden muss? Was rechtfertigt so etwas?

An dieser Stelle erscheinen zwei Kolumnen im Wechsel. Nächste Woche Grauzone von Erica Zingher.

Solange diese Fragen nicht geklärt sind, solange die Polizei sich nicht unabhängigen Ermittlungen stellen und mit Konsequenzen rechnen muss, ist es schier unmöglich, sich in diesem Land sicher zu fühlen. Verhältnismäßigkeit ist keine brauchbare Kategorie mehr angesichts der Eskalation, die von der deutschen Polizei gegenüber armen, kranken oder schwarzen Menschen ausgeht. Oury ­Jalloh, der 2005 in Polizeigewahrsam in Dessau starb, dürfte der bekannteste ungeklärte Todesfall durch Polizeigewalt in der jüngeren deutschen Geschichte sein. Er ist bei Weitem nicht der einzige. Jahr für Jahr wird die Liste der Namen von bei Festnahmen oder in Gewahrsam getöteten Menschen länger. Ermittlungen finden statt, doch zu Verurteilungen von Polizisten kommt es so gut wie nie. Stattdessen wird vertuscht und abgewimmelt. Niemand weiß, wer Oury Jalloh in seiner Zelle an eine Matratze gefesselt und angezündet hat.

Erst diese Woche wurde berichtet, dass ­Beamte der Frankfurter Polizei von Kollegen, die zur Geheimhaltung verpflichtet waren, gezielt gewarnt wurden, dass ihre Handys möglicherweise im Rahmen verdeckter Ermittlungen auf rechtsextreme und verfassungswidrige Inhalte gefilzt würden. Sie hatten genügend Zeit, alle Beweismittel zu vernichten, die auf ihre Organisierung in rechtsextremen Chatgruppen hinweisen könnten. All diese Ereignisse, die sich in unterschiedlichen Regionen des Landes zutragen, deuten zusammengenommen nur auf eines hin: Systemversagen. Die Sicherheits­behörden sind vor allem damit beschäftigt, sich und die eigene Macht zu schützen.

Verhältnismäßigkeit ist keine brauchbare Kategorie mehr, wenn Polizeigewalt eskaliert

Gegen den Schützen von Dortmund werde nun wegen Verdachts auf Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt, heißt es von der Staatsanwaltschaft. Aus Neutralitätsgründen übernimmt die Ermittlungen aber eine andere Polizeibehörde, und zwar Kollegen aus Recklinghausen. Den Fall in deren Landkreis wiederum – der Todesfall nach Fixierung und Pfef­fer­spray­einsatz – schauen sich die Kollegen aus Dortmund an. Wie neutral und unabhängig diese Ermittlungen laufen werden, lässt sich leider schon absehen.