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doppelblindZu alt, um geboren zu werden

Alter drückt sich nicht nur in schmerzenden Knien und der Weigerung aus, neue Social-Media-Apps herunterzuladen. Alter ist auch das Ende von Chromosomen, sogenannte Telomere. Bei jeder Zellteilung werden sie kürzer, und irgendwann können sie die DNA nicht mehr schützen. Deswegen wird DNA mit dem Alter immer leichter beschädigt, ein Grund für Genominstabilität und mitunter sogar Krebs. Wis­sen­schaft­le­r*in­nen können aufgrund dieser Eigenschaften an den Telomeren ablesen, wie weit der Alterungsprozess eines Individuums fortgeschritten ist. Und weil Stressfaktoren wie Hitze den Abbau der Telomere beschleunigen, lassen auch sie sich messen. Es ist aber noch offen, inwieweit die Erosion von Telomeren mit anderen Auswirkungen des Klimawandels zusammenwirkt.

Um der Antwort auf diese Frage einen Schritt näher zu kommen, haben For­sche­r*in­nen in Frankreich und Spanien 22 wilde Populationen der Waldeidechse zehn Jahre lang beobachtet und ihnen Gewebeproben entnommen, anhand derer sie die Telomere messen konnten. Die Waldeidechse ist an ein kühles Klima angepasst und jetzt Hitzewellen und Dürren ausgesetzt.

Sie haben herausgefunden, dass in kollabierenden Populationen die Telomere der Jungen bereits sehr kurz sind – sie werden alt geboren. Dass kürzere Telomere der Eltern vererbt werden, ist nicht ungewöhnlich. Eigentlich kann der Körper der Jungtiere sie jedoch reparieren. Dass er das bei der klimawandelverschuldeten Hitze nicht mehr schafft, erklären die For­sche­r*in­nen damit, dass die Telomere der Eltern womöglich viel kleiner als üblich sind oder dass die Jungtiere ihre Telomere aufgrund der Hitze schlechter reparieren können.

Kürzere Telomere bedeuten für die jungen Eidechsen, dass sie schneller erwachsen werden und sich früher vermehren. Das ist kurzfristig natürlich gut für die Population, aber mit schrumpfenden Telomeren sinkt zum Beispiel auch die Fruchtbarkeit der Weibchen.

Die For­sche­r*in­nen haben daraus die Hypothese entwickelt, dass die schnellere Alterung zu einem Verhalten führen, das sie „live fast – die young“ nennen. Die Eidechsen pflanzen sich zwar früher fort, sterben aber auch schneller, wodurch sie sich in der Summe weniger vermehren. Extremwetterereignisse können dann einen Kipppunkt auslösen, der zum Kollaps der Population führt.

Diese Hypothese könnte den For­sche­r*in­nen zufolge beim Schutz bedrohter Arten helfen. Denn an ihrem Anfang stehen die schrumpfenden Telomere. Na­tur­schüt­ze­r*in­nen müssten deshalb nicht mehr langfristig Populationen beobachten, um festzustellen, ob sie gefährdet sind. Es reicht, wenn sie gelegentlich Gewebeproben entnehmen, um die Telomere zu messen. Jonas Waack

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