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berliner szenenJeden Sommer einmal

Schön ist sie nicht mehr, die ehemalige Flußbadeanstalt Adlershof. Aber dank des Google-Maps-Entfernungsmessers weiß ich, dass es von mir zu Hause aus das nächste Gewässer ist, in dem man umsonst schwimmen kann. Nicht dass mir die Berliner Frei- und Strandbäder zu teuer wären. Aber seit ich diesen kuriosen lost place zum Baden entdeckt habe, muss ich jeden Sommer mindestens einmal durch die trostlosen Industriegebiete und gesichtslosen Wohnsiedlungen im Berliner Südosten radeln, um hier in der Oberspree zu schwimmen. Es muss eine Art Mischung aus Mutprobe und Ruinenromantik sein, die mich herzieht, wenn für eine Fahrt zum Müggelsee oder zur Dahme keine Zeit ist.

Mit Licht ist es im früheren Licht- und Luftbad nicht mehr weit her. Seit das Strandbad in den 1980er Jahren wegen Wasserverschmutzung geschlossen wurde, hat sich die Natur das mehr als 40.000 Quadratmeter große Grundstück zurückerobert. Es geht über Trampelpfade durch Unkraut und unter düsteren, hochgeschossenen Bäumen zur ehemaligen Uferpromenade, nun nur noch eine lange Betonkante am Wasser. Davor ein verschlammtes Flussbett, in dem sich Algen um die Beine schlingen, dann geht der Boden unter den Füßen plötzlich steil runter und aus dem Waten wird Schwimmen. Spreedampfer ziehen vorbei, auf einer nahen Eisenbahnbrücke kreuzt ab und zu eine Regionalbahn.

Kaum vorstellbar, dass hier zu Hochzeiten in den 1950er Jahren bis zu 10.000 Leute an einem Tag schwimmen gewesen sein sollen. Heute ist man in der Regel allein. Sollten andere Badegäste auftauchen, sind es meist schlechte Menschen. Man geht ihnen besser aus dem Weg und fährt nach Hause. Mit einem gewissen Gefühl der Erleichterung, dieses Sommerritual hinter sich gebracht zu haben.

Tilman Baumgärtel

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