piwik no script img

wortwechselAuf dem Prüfstein: der deutsche Pazifismus

Jagoda Marinićkritisiert „eine spezifische Art des deutschen Pazifismus, die sich absicht­lich dumm und naiv gibt“. Ihr Debattenbeitrag trifft auf ein nachdenkliches, geteiltes Echo

Foto: 3. August 22: ein Soldat der ukrainischen Nationalgarde nahe der Front in der Region Charkiw   Foto: Vyacheslav Madiyevskyy/reuters

„schlagloch: Weltmeister im Pazifismus. Deutsche Intellektuelle belehren die Welt mit ihrer Tugend und labeln Waffenlieferungen an die Ukraine als Kriegstreiber. Putin dürfte das gefallen“,

taz vom 27. 7. 22

Die Vorgeschichte …

Sehr geehrte Frau Marinić, es geht mir wie Ihnen, man kann die Beherrschung verlieren, man kann verzweifeln, weil es Menschen gibt, die zwar den Diskurs für notwendig halten, ihn aber nicht zulassen, weil sie nur ihren Weg für richtig und möglich halten. Das Elend, die Gräuel des Krieges und die Nachkriegszeit haben uns alle zu der Erkenntnis kommen lassen, so etwas wie das Gewesene darf nie wieder passieren. Nur leider vergisst oder verdrängt der Mensch zu schnell. „Nie wieder Krieg!“ war eine Aussage, die schnell nicht mehr so stark vertreten wurde. Dass auch friedliche Menschen Waffen für notwendig halten, kann ich auch noch verstehen. Bei dem Angriff Putins auf die Ukraine ist aber wohl jeder entsetzt und empört – so kann, so sollte man nicht reagieren, auch wenn man sich ungerecht behandelt fühlt. Bei jedem Streit gibt es allerdings eine Vorgeschichte. Die Minsker Verträge sind ein Teil davon. Dass weitere Staaten den Wunsch hatten, Nato-Mitglieder zu werden, kann ihnen keiner verbieten, aber die Nato ist nicht verpflichtet, sie aufzunehmen, schon gar nicht, wenn nach der Auflösung des Warschauer Paktes versprochen wurde, die Nato nicht auszuweiten. Die USA fühlten sich auch bedroht, als 1962 die Kubaner mit den Russen Raketenbasen bauen wollten. Darf der Kreml sich nicht bedroht fühlen? Es ist nicht entscheidend, ob wirklich bedroht wurde oder nicht, es wären Verhandlungen notwendig gewesen. Echt verhandelt – wie in Istanbul um das Getreideabkommen – wurde nicht. Das Schlimme ist, dass der Eindruck entsteht, dass die USA als Weltmacht (und Weltpolizei) ihre Macht beweisen wollen, dass sie „die“ Weltmacht seien. Günter Lübcke, Hamburg

„Heiliger St. Florian!“

Sehr geehrte Frau Marinić, danke für Ihren Artikel, er spricht mir aus der Seele. Unsere sogenannten Intellektuellen beherrschen perfekt das Florians-Prinzip: „Heiliger St. Florian, schütz’ unser Haus, zünd’ andere an!“ Der Gipfel dieser Perfidie ist: Sie nennen das Pazifismus!

Christina König, Bamberg

Besser kann man es nicht formulieren. Alex Latotzky, Kolrep

Was sagt Hartmut Rosa?

Sehr geehrte Frau Marinić, Sie haben den von Ihnen kritisierten Text von Hartmut Rosa im Spiegel nicht richtig gelesen – er fordert Aufbauen und Aufrüsten! Zugegebenermaßen innerhalb einer komplexen Analyse. Aber nicht Pazifismus!

Günter Papke, Krefeld

Kritik an Pazifisten

Dass jetzt Texte wie dieser kritische Kommentar zu den deutschen Pazifisten den Weg ins Blatt finden, rechne ich der taz hoch an. Arno Schilz, Zeitlarn

Kündigung der Verträge

Verehrte Damen und Herren in der taz, wie ist es möglich, dass die Autorin ohne Kommentar oder Richtigstellung wahrheitswidrig schreiben kann, es habe „unzählige Abkommen mit Russland gegeben, die Putin selbst gebrochen hat“?

Der ABM-Vertrag (Anti-Ballistic Missile Treaty) ist von den USA 2001 gekündigt worden, der INF-Vertrag (Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty) im Jahr 2019. Und den Open-Sky-Vertrag haben die USA im November 2020 gekündigt.

Peter Bethke, Eutin

Aufrüstungswahnsinn

Dass die Nato und der Westen einen erheblichen Anteil an der Auslösung des Ukrainekriegs haben und dass sie mit ihren jetzigen Waffenlieferungen dazu beitragen, dass noch viele tausend Menschen sterben werden und Millionen ihre Heimat verlieren, wird in diesem Artikel wie in fast allen Medien dieses Landes mehr oder weniger ignoriert und verschwiegen.

Nein, das ist kein Satz pro Putin, aber einer gegen den Wahnsinn der Aufrüstung und die Selbstgerechtigkeit auch solcher Politiker, die als Regierende schnell und skrupellos die Seite wechseln.

Da kann man froh sein, dass es einen Bundeskanzler gibt, der zumindest ein wenig auf die Bremse tritt.

Gerhard Harms, Bremen

Moralisch überlegen?

Mir geht es wie der Autorin: Ich finde es sehr anmaßend, wenn diese alles (besser) Wissenden zum Pazifismus aufrufen. Sie sind herzlich eingeladen, für ihre hehren Werte mit einer Menschenkette an der Front zwischen russischen und ukrainischen Kampfverbänden zu demonstrieren. Bei einer so hohen moralischen Überlegenheit kann ihnen doch nichts passieren, und die Soldaten legen bestimmt alle gleich die Waffen nieder und fallen sich freundschaftlich in die Arme. Karin Ulrich, Berlin

Krieg ordnet die Welt?

So nehme ich denn aus all den Kommentaren auf taz.de mit, dass es hier, ganz nüchtern analysiert, nicht gegen Grundsätze pazifistischer Überzeugungen generell und die ihnen zugrundeliegenden Wertvorstellungen gehen kann, sondern in Wirklichkeit um einen noch genauer zu definierenden Pseudopazifismus. Das kann ich akzeptieren.

Ich bin Pazifist. Ich bin es immer gewesen und werde es auch weiter sein. Ich halte weiter an den grundsätzlichen Zielen des Pazifismus fest. Und dennoch fällt mir in der aktuellen Situation auch nichts Besseres ein, als den Ukrainerinnen und Ukrainern die notwendige Hilfe nicht zu versagen, die nötig ist, um sich gegen die Angreifer zu verteidigen.

Sich dabei von den Ideen des Pazifismus zu verabschieden, hieße aber, den Krieg als Mittel zur Ordnung der Welt letztlich zu akzeptieren.

Eistaucher auf taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen