kritisch gesehen: Die Krise im Blick
Schwarz-Weiß wird zu Farbe: Da fließt das Wasser wieder; Wasser, das zu trinken kein tödliches Risiko darstellt. Und das ist dort, wo diese Fotos entstanden, eben nicht selbstverständlich. Wer wüsste in Deutschland um die Existenz des Ortes Flint im US-Bundesstaat Michigan, wäre dort nicht dieses krank machende Wasser aus den Hähnen gekommen? Gut: Freistil-Dokumentarfilmer Michael Moore hat jene seine Heimatstadt wiederholt erwähnt, aber eigentlich immer im Zusammenhang mit – Krisen. Dem Niedergang der US-Automobilindustrie, zum Beispiel: Flint war erster Standort des späteren Weltkonzerns General Motors. Die Auto-Jobs sind lange weg und damit auch die Steuereinnahmen.
Kaum überraschend, stand am Anfang denn auch eine Sparmaßnahme: Im April 2014 stellte der damalige Gouverneur die Wasserversorgung um; statt aus einer Aufbereitungsanlage im nahen Detroit sollte es aus dem Flint River kommen. Nun floss das Trinkwasser durch nicht gegen Korrosion behandelte Leitungen – wer davon trank, vergiftete sich mit gelöstem Blei, zudem siedelten gefährliche Legionellen in den Rohren. Und der Fluss selbst war hochgradig belastet mit Fäkalien und giftiger Chemie.
Im Mai 2016 kam US-Präsident Barack Obama nach Flint und trank demonstrativ vom Leitungswasser. Wichtiger aber: Schon seit Januar war LaToya Ruby Frazier in der Stadt. Das Magazin Ellehatte sie mit einer Fotoreportage über die Krise betraut. Das Projekt bildete den Auftakt für die wiederholte Beschäftigung mit Flint und seinen Menschen. Den vorläufigen Abschluss bildet Akt III, zu sehen bis Anfang Oktober im Hamburger Kunstverein – als vielleicht ausdrücklichst politisch zu nennender Beitrag zur diesjährigen Foto-Triennale.
Fraziers Arbeit wird gerne als sozialdokumentarisch bezeichnet, gar als „Symbiose aus Kunst und Aktivismus“. Richtig ist: Wen sie fotografiert, macht sie nie zum bloßen Objekt. Die Menschen, teils von Anfang an auftretend, kommen zu Wort, und das ganz ausdrücklich: In der Ausstellung kann die Betroffenen-Perspektive nachgelesen werden; Texttafeln hängen prominent neben Fraziers gekonnten Fotos.
Die Krise übrigens ist nicht vorbei. Nicht der Staat, der es ihnen genommen hatte, gibt den Menschen heute gesundes Wasser. Wovon Frazier in Akt III erzählt, ist die Beschaffung eines atmosphärischen Wassergenerators. Der steht auf privatem Grund in einem systematisch benachteiligten vermeintlichen Problemquartier und gewinnt aus der Umgebungsluft trinkbares Wasser. Geld dafür gab unter anderem – die Fotografin. Alexander Diehl
Flint is Family, Act III: bis 2. 10., Hamburg, Kunstverein
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