Papierener Winter

Überzeugend, wenn auch teils gedehnt: Peter Eötvös‘ „Angels in America“ erlebte an der Hamburgischen Staatsoper ihre deutsche Erstaufführung

von Dagmar Penzlin

Als „Homosexuellendrama“ wird das Theaterstück Angels in America von Tony Kushner gern bezeichnet. Alle männlichen Hauptfiguren sind schwul, zwei haben Aids und ringen mit dem Tod. So weit, so aufwühlend und: so menschlich – sterben müssen wir schließlich alle, ob homosexuell oder nicht. Deshalb ist auch Peter Eötvös‘ Oper Angels in America wie die Vorlage von Kushner mehr als ein „Homosexuellendrama“. Das unterstrich die Deutsche Erstaufführung von Eötvös‘ Musiktheaterstück, die jetzt an der Hamburgischen Staatsoper zu erleben war.

Es geht im Stück um Krankheit und Tod, um letzte Fragen, um religiöse Sehnsüchte und Visionen. Drei Handlungsstränge verweben sich. Louis (Jonas Olofsson) trennt sich von Prior (James Bobby), als er von dessen Aids-Erkrankung erfährt. Prior bleibt schwer krank allein zurück. Im Fieberwahn erscheint ihm ein Engel (Julia Sukmanova): Prior soll Prophet werden, sagt er. Louis begegnet zwischenzeitlich dem Juristen Joe (Christoph Pohl). Der ist Mormone, verheiratet, und er will nicht länger verheimlichen, dass er schwul ist.

Joes Coming-out stürzt seine ohnehin labile Frau Harper (Renate Spingler) in eine tiefe Krise. Mit Hilfe von Valium träumt sie sich in bessere Welten. Die Droge des Staranwalts Roy Cohn (Tomas Möwes) ist politische Macht. Cohn ist eine historische Figur, er war im Amerika der 40er- und 50er-Jahre einer der Handlanger des Kommunistenjägers McCarthy. Zudem ist er ein Schwulenhasser, obwohl er selbst mit Männern Sex hat und auch seinen Kollegen Joe anbaggert. Cohn leugnet bis zuletzt, dass er Aids hat („Es ist Leberkrebs!“). Im Todeskampf erscheint ihm eines seiner Opfer: Ethel Rosenberg musste auf dem elektrischen Stuhl sterben, dafür sorgte Cohn. Jetzt ist er dem Racheengel ausgeliefert.

Die Trennlinie zwischen Realität und Halluzinationen ist in dieser Geschichte kaum auszumachen. Zumal Peter Eötvös für seine Oper eine raffiniert oszillierende Partitur geschaffen hat. Eher illustrierende Klangflächen, atmosphärisch angereichert durch Alltagsgeräusche wie Telefonklingeln oder Sirenen, und psychologisch-dramatisch ausgeklügelte Musiken verzahnen sich hier.

Als der ungarische Komponist sich entschlossen hatte, Kushners Drama zu vertonen, hat er sich in New York eine Woche lang Musicals angehört. Ihm schwebte eine Broadway-Ästhetik vor. Die blitzt immer wieder auf.

Eötvös spielt in dieser Oper mit den verschiedensten, bevorzugt amerikanischen Musikstilen. Hier finden sich Anklänge an den Sound einer Big Band oder an Gershwin-Songs, da hört man ein E-Gitarren-Solo als Rock-Zitat und Synagogen-Melos, bevor wieder Neue-Musik-Vokabeln den Opernsoundtrack des erfahren Filmmusikers Eötvös zum Schweben bringen.

Wie schon bei der Uraufführung im November vergangenen Jahres in Paris verstärkt sich auch an der Hamburgischen Staatsoper die Sogwirkung der Komposition durch Tonmeister-Arbeit. Alle Beteiligten sind verkabelt – sowohl die Sänger auf der Bühne als auch das Orchester –, damit am Mischpult entstehen kann, was das Publikum schließlich hört.

Das Ergebnis klang bei der deutschen Erstaufführung in Hamburg hervorragend – dank der kompetenten Arbeit von Dirigent Cornelius Meister und einem bestens disponierten Musiker-Team. Das durchweg exzellente Sänger-Ensemble überzeugte auch durch packendes Spiel.

Auf der leeren Bühne ist übrigens Winter in dieser Inszenierung: Weiße Papierschnipsel rieseln am Anfang auf das schwarze Podium. Kühle Endzeitstimmung. Das passt zu der Inszenierung des Regisseurs Benedikt von Peter. Er bricht die Emotionalität des Themas vielfach durch Verfremdungseffekte und stilisiertes Spiel. Das ist sehr gekonnt, trotzdem hat die Hamburger Neuproduktion Längen. Fast drei Stunden Todes- und Lebenskämpfe zerren an den Nerven. Am Ende trottet auch Priors Engel resigniert von der Bühne. Kurz: Eötvös‘ faszinierende Musik lohnt den Besuch der Aufführung, einen restlos überzeugenden Abend darf man aber nicht erwarten.

Weitere Vorstellungen: 28. + 30. Juni, 2. Juli, 20 Uhr; Hamburgische Staatsoper, Probebühne 1