Die antiwestliche Autokratenallianz

Das russische Außenministerium täuscht während des G20-Gipfels Normalität vor und hält an seinem Narrativ fest, der Westen sei an allem schuld. So isoliert, wie der Westen Russland gerne sähe, ist das Land weltpolitisch nicht

Aus Moskau Inna Hartwich

Eigentlich sollte doch alles business as usual sein. Doch eine kurze, bündige Mitteilung seitens des russischen Außenministeriums zeigte, dass während dieses G20-Gipfels wenig normal war: „Lawrow führt noch bilaterale Gespräche, danach wendet er sich an die Presse und reist ab“, sagte Sprecherin Maria Sacharowa der dpa auf Anfrage. Weder am offiziellen Essen noch an der Nachmittagssitzung nehme er teil.

Dabei will das russische Außenministerium ja Normalität suggerieren, Moskau gibt sich, als sei nichts geschehen: „Wir pflegen einen offenen und ehrlichen Meinungsaustausch“, heißt es in einer Mitteilung von Sergei Lawrow. In seinen Ausführungen wird die Ukraine mit keinem Wort erwähnt. Die weltpolitische Zäsur, die Russland durch seinen Angriff auf das Nachbarland ausgelöst hat, übergeht der russische Chefdiplomat geflissentlich und schiebt die Verantwortung für die Krisen in der Welt den USA zu.

Das ist ohnehin seit Jahrzehnten Russlands Politik: Der Westen, in den Fängen der USA, zerstöre mit „nicht legitimen Handlungen“ die „Vielseitigkeit der Staaten“ und sorge damit für „destruktive Auswirkungen“. Russland dagegen setze sich für eine multipolare Welt ein und suche stets den Dialog. Das Land tue zudem viel für die Energie- und Nahrungsmittelsicherheit.

Das Mantra vom „guten Russland und bösen Westen“ ist vor allem ein beliebtes rhetorisches Mittel im russischen Narrativ, nach dem alle Bedrohung von außen komme. Ein Narrativ, das in großen Teilen der Welt durchaus greift. Die Überzeugung vieler Po­li­ti­ke­r*in­nen im Westen, Russland sei isoliert, ist eine Illusion.

Wenn der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow davon redet, es könne kein Vakuum und keine volle Isolation Russlands geben, weil diese technologisch unmöglich sei, steckt in dem Satz freilich auch viel Beschwörung nach innen.

Das Modell von Führer und Volk

Scheinbar überrascht von der Geschlossenheit Europas wendet sich Russland verstärkt anderen Ländern zu – Ländern, die im Handeln des Kremls ein durchaus willkommenes Gegengewicht zu den USA sehen. Der Antiamerikanismus wie auch der Antikolonialismus vieler Staaten macht es Moskau geradezu einfach, hier einige Verbindungen zu stärken, zumal viele dieser Länder zuerst ihre eigene Interessen verfolgen.

Indien bezieht Rüstungsgüter aus Russland, für seinen Konflikt mit Pakistan braucht es Waffen, Ersatzteile, Munition. Zudem haben Moskau und Delhi Gespräche über eine Gaspipeline nach Indien wieder aufgenommen. Bereits zu Sowjetzeiten hatte es Pläne gegeben, das Land über Zentralasien und Afghanistan mit Gas zu versorgen.

Auch die Taliban umgarnen das Regime in Moskau. Zwar sind die Gotteskrieger in Russland als terroristische Organisation verboten, auf dem Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg vor drei Wochen waren sie dennoch gern gesehene Gäste. In China, Iran, Saudi-Arabien, einigen afrikanischen und auch lateinamerikanischen Ländern sucht und findet Russland ähnliche politische Werte. Sie alle interpretieren Begriffe wie Demokratie, Souveränität und Einmischung neu und verzerren damit die Rechtsstaatlichkeit. Seinen Platz in einer antiwestlichen Autokratenallianz sucht Moskau noch.

Venezuela steht voll hinter Russland und profitiert von russischen Krediten, die es für den Kauf russischer Waffen verwendet. Auch Argentinien und Brasilien sehen in der Konfrontation zwischen Russland und dem Westen einen Nutzen für sich. Russland war neben China das Land, das in der Pandemie beide Länder mit Impfstoffen versorgte, noch bevor es westliche Staaten taten.

Peking und Moskau mögen sich zwar gegenseitig als Juniorpartner betrachten, was beide nicht sein wollen. Geschäfte zu machen, die nicht an die Achtung von Menschenrechten geknüpft sind, liegt allerdings beiden. Im Juni feierten sie nach Jahren des Baus die Eröffnung der ersten Autobrücke, die den Ort Blagoweschtschensk in Russland mit Heihe in China verbindet. Ein starkes Symbol der Partnerschaft.

Länder, mit denen Russland vermehrt den Schulterschluss sucht, verteidigen, wie Moskau selbst, ein Modell von Führer und Volk, ohne zwischengeschaltete Institutionen. In dieser Sache ist Russland keinesfalls isoliert.