Die Musik zum Kick

Heute Abend startet mit dem Anpfiff drüben in Warschau ein knallharter Verdrängungswettbewerb, weil dann ja das runde Leder rollt und es zwischendurch immer wieder mal „bumn“ macht. Was viele Menschen gerne sehen wollen, die dann eben an anderer Stelle auf dem Markt der Unterhaltung fehlen. Im kleinen Einmaleins des Kapitalismus rechnet sich das mit dem Angebot und Nachfrage in den nächsten Wochen schlicht so, dass mehr Fußball weniger Musik bedeutet, weil im Zweifelsfall halt kaum einer noch auf ein Konzert gehen will. So hat man sich beim Privatclub bereits schon in den Sommer verabschiedet, und auch das A-Trane vermeldet, dass vom 9. Juni bis 1. Juli die Türen geschlossen bleiben. Der Grund: die Fußballeuropameisterschaft.

Das Verhältnis von Musik und Fußball ist also schwierig. Eine geradezu grundsätzliche Unvereinbarkeit hat Trevor Wilson diese Woche in dem Montagsinterview hier in der taz ausgemacht, dass nämlich Fußballer und Gesang zwei Dinge sind, „die absolut nicht zusammengehören“. Weil dabei nur Peinlichkeiten herauskommen. So peinlich, dass es schon wieder gut wird. Wie bei dem von Wilson als Beispiel erwähnten Gerd Müller, dessen Hit „Dann macht es bumm“ hier mal visuell nachgereicht sein soll. Weitere Beispiele findet man auf dem von Wilson betriebenen Internetportal fc45.de für deutschsprachiges Fußballliedgut. Eine Fundgrube. So prall gefüllt, dass man sich beim Stöbern in der Zeit verlieren und darüber fast die Spiele vergessen könnte.

Was nur wieder darauf verweist, dass man zwei Dinge nebenher nicht mit der gleichen Leidenschaft betreiben kann.

Wenn aber die friedliche Koexistenz, das gleichzeitige Vorhandensein verschiedener Systeme (Fußball, Musik), schwierig ist, muss man eben einen Schritt weiter und aufeinander zugehen. Was hier heißt, dass sich die Musik hin zum Ball bewegen muss, um wenigstens ein bisschen im Spiel zu bleiben mit einem gleichzeitigen Fußballgucken und Musikhören, in einer vollwertigen Konzertsituation, in der dann auch endlich zu hören ist, wie sich das Verschieben der Viererkette musikalisch anfühlt. In einer Livevertonung von Fußballspielen. Darin bereits erprobt ist der Stummfilmkonzertemusiker Stephan Graf von Bothmer, der auch bei dieser EM wieder zu den Kicks an der Orgel improvisiert, vom Viertelfinale bis zum Endspiel in der Kreuzberger Emmaus-Kirche. Und am Mittwoch übersetzt das Improvisationsduo Staab/Hagitte die Partie Deutschland – Niederlande in Musik. In der Hochmeisterkirche in Halensee.

Dass solche gemeinschaftsstiftenden, befriedenden Handschläge nun ausgerechnet in den Kirchen stattfinden, kann auch kein Zufall sein. THOMAS MAUCH