piwik no script img

besprochenKaulitz-Brüder hinter Gittern!

Man kann es ihnen nicht verdenken: Wochenlang haben sie sich auch im Celler Rathaus mit einer zunächst anstehenden, dann tatsächlich stattfindenden und inzwischen allerlei Nachbereitung erfahrenden Promi-Hochzeit auf einer Nordeeinsel beschäftigen müssen. „Einmal solche Presse“, mag sich Oberbürgermeister Jörg Nigge (CDU) da gedacht haben, „einmal all die Aufmerksamkeit!“ Und sein Wunsch ging in Erfüllung – im weiter gefassten Sinne wenigstens.

Vermutlich waren es ganz und gar andere Gründe, die dazu führten. Aber dieser Tage jedenfalls führten die Brüder Tom und Bill Kaulitz das niedersächsische Städtchen im Mund, mithin der Motor der einst in den Nullerjahren recht beliebten Popgruppe „Tokio Hotel“. Die beiden sind in Los Angeles ansässig – um nicht zu sagen: in der ganz großen weiten Welt – von Hause aus aber nicht etwa Celler, sondern Magdeburger. Biografisch-lokalpatriotisch also erklärt sich das Ganze nicht.

Aber vielleicht ja unter Beachtung des Kontexts? Die Kaulitz-Zwillinge nämlich, inzwischen 32, machen seit ebenjenem Geburtstag im vergangenen September, was man heute so macht, wenn die eigene Marke präsent gehalten werden soll, die letzte eigene prominent besetzte Hochzeit aber schon wieder etwas her ist: einen Podcast, und zwar „über tagesaktuelle Themen“, ferner die „relevanten oder auch mal irrelevanten Geschichten aus ihrem Leben“. In der jüngsten Folge von „Kaulitz Hills – Senf aus Hollywood“ nun sprachen sie – neben ihrem familiären Hautkrebsrisiko oder der Schönheit eines Arktis-Aufenthalts – über Celle: Angeblich denken die beiden darüber nach, dort ein Gefängnis zu kaufen.

Moment: Celle und Knast, da war doch was? Es geht bei den Kaulitz-Überlegungen aber nicht um die „große“ JVA, die zweifelhafte Bekanntheit erlangte, nachdem der niedersächsische Verfassungsschutz dort einen Sprengstoffanschlag inszenierte – das dabei entstandene „Celler Loch“ ist ein schönes Symbol für die Art Presse, an der Oberbürgermeister Nigge keinerlei Interesse haben dürfte. Zum Verkauf steht nur die 2014 geschlossene Justizvollzugsanstalt Salinenmoor, eröffnet ziemlich genau, als es in Celle selbst des nächtens knallte, 1978 nämlich.

Von Wald und dicken Mauern umgeben, gehören Unterkunfts-, Verwaltungs- und Versorgungsgebäude sowie Werk- und Lagerhallen zum Paket, ferner vier Reihenhäuser, eine Kläranlage und ein Funkmast sowie landwirtschaftliche Gebäude: Die hier Inhaftierten hielten zeitweise Rinder und Schweine und bauten Gemüse an. Noch bis Ende des Monats nimmt das Land eigenen Angaben zufolge Interessensbekundungen entgegen, 47 davon waren es früher in dieser Woche. Dass irgendwelche kalifornischen Brüder im Boot seien, wurde nicht bestätigt.

Einfach bebauen, etwa mit Wohnhäusern, lassen sich die annähernd zwölf Hektar nicht, mal ganz abgesehen vom Aufwand, den das Abreißen so eines Kastens bedeuten dürfte. Tom und Bill Kaulitz wollen ja aber auch keinen neuen Vorort errichten: Sie dachten laut darüber nach, was sich in dem ollen Knast machen lassen könnte: Nacht- oder gar „Fetischklub“ – was die lokale Presse ins Schwitzen brachte – oder, vergleichsweise schnöde, ein Restaurant oder, nun ja, Hotel?

Es lässt sich der Eindruck nicht vermeiden, das Ganze sei auch dem Sommer und der ihm traditionell unterstellten Nachrichtenebbe zu verdanken: Gibt es in oder um Celle denn gar keinen Baggersee, zum Echsen-darin-Sichten? Alexander Diehl

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen