berliner szenen
: Kalter Stein und rauer Gesang

Die moderne Hausfrau hat ein Problem, wenn sie neue Staubsaugerbeutel braucht. Denn der Sauger ist ein Steinzeitmodell. Er gehörte dem Vater meiner Kinder, und als sich unsere Wege trennten, durfte ich ihn behalten. Er ist ein schwerfälliges Monster, und ich hasse ihn von Herzen. Andererseits ist er nicht so laut wie der in der Arbeit, und solange er seinen Geist nicht aufgibt, plage ich mich eben mit ihm ab.

Die Beutel von dm, die nicht passten, durfte ich freundlicherweise zurückgeben, aber leider war mein Schätzchen, der TC 631, auch auf keiner anderen Kartonrückseite gelistet. Nun kann ich es nur noch bei Karstadt versuchen. Dort habe ich vor Jahren die richtigen Staubsaugerbeutel bekommen, die 1711er in der günstigen Familienpackung. Deswegen haben sie auch so lange gereicht. Auf dem Weg dorthin liegt ein junger Mann auf dem Boden des Gehwegs mit nichts als dem bisschen, was er anhat, und schläft. Er sieht aber gar nicht wie eine Drogen- oder Alkoholleiche aus. Er liegt da wie warm und weich gebettet mit einem fast lächelnden Ausdruck im Gesicht. Wie geht das?

An der Kreuzung haben die Fuß­gän­ge­r:in­nen schon satt grün, als ein potenzieller Mörder in einer Karre mit vier Auspüffen um ein Haar eine Mutter mit Kind überfährt. Für Karstadt ist es noch zu früh, aber an der Ecke sitzt schon die Frau, die mit ihrem rauen kehligen Gesang ganz schwerelos den Lärm vom Hermannplatz übertönt.

Da werde ich also wiederkommen müssen. Bis dahin ist der junge Mann unterkühlt aufgewacht und vermutlich tun ihm alle Knochen weh. Die Sinti-/Roma-Frau hat vielleicht eine bescheidene Gage eingenommen und sie dem Kerl, der regelmäßig vorbeischaut, bis auf den letzten Cent klaglos übergeben. Dem Raser wünsche ich für den Rest seines Lebens einen Platten.Katrin Schings