biden in nahost
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Weizen und Ränkespiele

Wladimir Putin traut sich nach Teheran, Joe Biden bereist Jerusalem und Saudi-Arabien, und überall sitzt Recep Tayyip Erdoğan mittendrin: Die Welt schaut nach Nahost. Der Konflikte gibt es reichlich – von der Ukraine bis zu Syrien

Bild aus der Kornkammer der Welt: Ein Mähdrescher mäht und drischt Korn in der Region Odessa Foto: dpa

Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

„Wir sind nur noch zwei Schritte von einer Lösung der Getreidekrise entfernt“, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba in einem am Mittwoch erschienenen Interview mit der spanischen Zeitung El País. „Wenn Russland keinen Rückzieher macht, können wir es schaffen.“

Die Äußerung des ukrainischen Außenministers galt einem Treffen zwischen einer russischen und einer ukrainischen Militärdelegation, die Mittwoch an einem geheimen Ort in Istanbul zusammenkamen. Das ist das erste direkte ukrainisch-russische Treffen seit Ende März. Eingeladen zu diesem neuerlichen Treffen, bei dem ukrainische Getreidelieferungen aus Odessa durch die russische Blockade des ukrainischen Hafens hindurch möglich gemacht werden sollen, hatten UN-Generalsekretär Antonio Guterres und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der sich einen solchen Vermittlungserfolg gerne an die Brust heften würde.

Die Moderation bei den Gesprächen obliegt dem türkischen Verteidigungsminister Hulusi Akar. Bei den Gesprächen soll geklärt werden, wie einerseits ukrainische Schiffe durch die vor Odessa liegenden Minenfelder hindurchkommen und andererseits verhindert wird, dass Transportschiffe, die Odessa anlaufen, um dort Weizen aufzunehmen, Waffen für die Ukraine transportieren. Die Türkei hat angeboten, mit ihrer Marine ukrainische Frachter zu eskortieren, um so Sicherheit gegen russische Übergriffe zu bieten und gleichzeitig Odessa anlaufende Schiffe zu kontrollieren, damit diese keine Waffen transportieren.

Erst vor wenigen Tagen hatte Erdoğan noch einmal mit dem russischen und dem ukrainischen Präsidenten telefoniert, um Druck zu machen, dass endlich eine Vereinbarung zustande kommt. Vor allen Dingen einige afrikanische und arabische Staaten sind dringend auf Weizen aus der Ukraine angewiesen, um eine Hungerkatastrophe abzuwenden. Eine Vereinbarung über den Getreidetransport würde der Ukraine erlauben, ihren Weizen endlich auf den Markt zu bringen, aber auch Russland könnte seinen Unterstützern und Sympathisanten im Globalen Süden damit helfen und so sein Standing verbessern. Für Mittwochabend wurde mit einer schriftlichen Mitteilung über die Gespräche in Istanbul gerechnet.

Doch die Getreidelieferungen sind nur ein Punkt eines diplomatischen Tauziehens, das sich in diesen Tagen rund um die Türkei und im Nahen Osten insgesamt zwischen Putin auf der einen und dem Westen auf der anderen Seite abspielt. Den Auftakt hatte am Wochenende eine Abstimmung im Weltsicherheitsrat über die Fortsetzung humanitärer Lieferungen der UN in das letzte syrische Rebellengebiet Idlib gemacht. Während der Westen eine einjährige Verlängerung der Hilfslieferungen aus der Türkei direkt nach Idlib anstrebte, setze sich Russland letztlich damit durch, die Hilfslieferungen nur noch ein halbes Jahr zu genehmigen.

Obwohl Erdoğan Putin auch wegen dieser Hilfslieferungen bekniet hatte, blieb der Kreml stur. Ab Januar nächsten Jahres sollen die UN nur noch über Damaskus liefern dürfen und es liegt dann an Assad, wie viel er seinen Gegnern in Idlib noch weiterschickt.

Doch das ist nicht das Ende der Syriendebatte. Seit Monaten kündigt Erdoğan einen neuen militärischen Vorstoß in Nordsyrien an, um die kurdischen YPG-Milizen weiter von der türkischen Grenze und den bereits von der Türkei besetzten Gebieten in Nordsyrien abzudrängen. Konkret geht es vor allem um Gebiete westlich des Euphrats zwischen dem besetzten Afrin und der Stadt Manbidsch, dem größten Brückenkopf der YPG westlich des Euphrats. Da Russland die Lufthoheit in Syrien hat, kann Erdoğan nur zuschlagen, wenn Putin stillhält.

Die Getreide­lieferungen sind nur ein Punkt

des diplomatischen Tauziehens

Eine Entscheidung dazu wird wohl bei einem bemerkenswerten Gipfeltreffen am kommenden Dienstag in Teheran fallen. Erstmals seit der Pandemie und dem Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine verlässt Putin wieder seine heimatlichen Gefilde und reist persönlich nach Teheran, um sich dort mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi und dem türkischen Präsidenten zu treffen. In Teheran wird es sowohl um die Ukraine wie auch um Syrien gehen. Putin erhofft sich vom Iran direkte militärische Unterstützung – angeblich ist Teheran bereit, bewaffnete und unbewaffnete Drohnen für Russlands Krieg in der Ukraine zu liefern und wäre damit der erste ausländische Partner, der sich auch militärisch auf die Seite Russlands schlagen würde.

Mit am Tisch ausgerechnet der Präsident eines Nato-Landes, das darüber hinaus selbst Kampfdrohnen an die Ukraine liefert. Aber Erdoğan fährt hin, um sich für seinen Syrienkrieg grünes Licht von Putin zu holen.

Aus Sicht von Putin ist das Treffen in Teheran auch eine Antwort auf die heute in Israel beginnende Nahost Reise von US-Präsident Joe Biden. Biden wird zunächst Jerusalem besuchen und anschließend Palästinenserpräsident Mahmut Abbas treffen. Israel erhofft sich von Bidens Besuch vor allem eine Stärkung einer israelisch-arabischen Front gegen den Iran. Nachdem die Vereinigten Arabischen Emirate bereits ihren Frieden mit Israel gemacht haben, soll nun Saudi-Arabien mit ins Boot geholt werden. Alle Schwüre Bidens, nach dem Mord an dem saudischen Regimekritiker Jamal Kashoggi die Saudis international zu ächten, sind vergessen. Angesichts der russisch-iranischen Bedrohung müssen die Reihen geschlossen werden.

Am Freitag trifft Biden den greisen saudischen König und seinen Sohn Mohammed bin Salman, den Auftraggeber des Kashoggi-Mordes.