Neue Lehrer braucht das Land

In Berliner Lehrerzimmern droht die Pensionierungswelle. Bis 2010 werden viele neue Lehrer gebraucht, doch deren Studium wird derzeit neu organisiert: Die Reform ist mangelhaft

VON KATHI PREPPNER

Statistisch gesehen hat die durchschnittliche Berliner Lehrperson eine Menge grauer Haare. Dies nicht nur, weil der Job anstrengend ist, sondern weil die Landespädagogen im Schnitt über 50 Jahre alt sind und noch vor 2010 in Rente gehen werden. In den kommenden Jahren braucht die Hauptstadt also zwischen zehn- und fünfzehntausend neuer Lehrerinnen und Lehrer, je nachdem, wer die Prognose erstellt. Zwar stehen gegenwärtig nicht wenig Pädagogen auf der Straße, doch in wenigen Jahren droht Lehrermangel. Dies deshalb, weil die Universitäten bald nur noch „Bachelor (B.A.) mit Lehramtsoption“ hervorbringen. Wie aus denen richtige Lehrer werden, ist unklar.

Lehramts-B.A.-Absolventen gibt es seit dem vergangenen Wintersemester. Wer dafür eingeschrieben ist, studiert also seit einem knappen Jahr. Oder hat schon wieder aufgehört. Wie Henriette Kämmer. Die 20-jährige Berlinerin hatte zwar das Glück, an der Freien Universität ihre Wunschkombination studieren zu können: Mathe als Kernfach und Biologie als Modulfach. Dennoch verlief ihr Studium nicht, wie sie es sich vorgestellt hatte: „Nichts hat geklappt. Ich hätte 40 Wochenstunden gehabt und viele Pflichtkurse aus den unterschiedlichen Fächern haben sich überschnitten.“

Henriette Kämmer fühlte sich überfordert. „Einmal musste ich acht Klausuren in zwei Wochen schreiben. Da ging’s dann nur noch ums Bestehen.“ Obwohl gute Noten die Voraussetzung für die Zulassung zum Masterstudium sind. Die Studienplätze sind begrenzt, was den Druck während des Bachelor-Studiums verstärkt.

Zu diesem Druck kam bei Kämmer bald auch noch die Sinnkrise: „Will ich wirklich Lehrerin werden?“ Durch die Überschneidungen von Mathe- und Biokursen hatte die Studentin noch keine Seminare in Erziehungswissenschaft besuchen können. Über die didaktischen Anforderungen des Pädagogenberufs hatte sie also noch nichts gelernt. Als sie zu Beginn des zweiten Hochschulsemesters auch noch durch eine Klausur fiel, war klar: So geht es nicht! Henriette Kämmer schmiss das Studium.

„Startschwierigkeiten“ in der neuen Lehrerausbildung habe es gegeben, sagt Heinz-Elmar Tenorth, Vizepräsident für Lehre und Studium an der Humboldt-Universität (HU). Schon die Bewerberzahlen seien niedriger gewesen als gewöhnlich. Die LehramtsanwärterInnen zweifeln anscheinend noch an der Anerkennung des neuen Abschlusses. Ein weiteres Problem ist die Fächerkombination. Nicht jeder kann, wie Henriette Kämmer, seine Wunschfächer studieren. Das Kernfach ist häufig zulassungsbeschränkt, hier kann nur wählen, wer eine gute Abinote hat – oder ein paar Semester wartet. Beim Zweitfach nutzen selbst Wartesemester nichts, viele Studienanfänger müssen mit einem Fach vorlieb nehmen, das ihnen zugeteilt wird. Keine gute Voraussetzung, um passionierte Lehrer auszubilden.

Das schreckt ab, ebenso wie die Tatsache, dass es den lehramtsbezogenen Masterstudiengang in Berlin noch gar nicht gibt. Er ersetzt das frühere erste Staatsexamen. Zwar können Studierende auch mit einem Lehramts-Bachelor an die Schulen gehen, zum Beispiel als LernassistentIn. Nur was für ein Beruf das genau sein soll, ist noch nicht klar.

Von Kritikern als „Billiglehrer“ verpönt, sieht Bildungssenator Klaus Böger (SPD) den Lernassistenten in einem Tätigkeitsfeld zwischen Lehrer und Erzieher. Den Unis passt das ganz und gar nicht: Tenorth hält das neue Berufsbild für „Unfug“. Wissenschaftlich ausgebildete Lehrkräfte würden auf diese Weise entqualifiziert.

Es drohen die Auswirkungen des „Schweinezyklus“, ein Kreislauf aus Pensionierungswelle und Lehrermangel (siehe Kasten). Bald werden wieder mit Kusshand diejenigen genommen, die überhaupt einmal für das Lehramt eingeschrieben waren oder Quereinsteiger in den Lehrerberuf sind. Das neue Schulgesetz macht’s möglich.

Bildungssenator Böger findet das gut: „Ich halte den Einsatz von Quereinsteigern für sinnvoll. Das ist nicht nur eine Notlösung, sondern kann auch sehr befruchtend sein.“ Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht das anders: „Wir befürchten, dass Schulen künftig nach diesem Modell mit Lehrern versorgt werden“, sagt Michael Martin, Referatsleiter für Lehreraus-, fort-, und -weiterbildung.

Aus Martins Sicht bekämpft der Einsatz von Quereinsteigern nur die Symptome des Schweinezyklus, durchbricht ihn aber nicht. Sein Rezept bestünde darin, schon jetzt mehr Lehrer an den Schulen einzustellen, sodass ein großer Pädagogenmangel erst gar nicht entsteht. Das Lehrerdefizit ist seiner Meinung nach bereits spürbar, „es werden nur keine Leute eingestellt“, kritisiert der Gewerkschafter.

Mit dem Generationenwechsel muss das zwangsläufig geschehen. Da wird die Generation gefragt sein, deren Ausbildung momentan noch in den Kinderschuhen steckt. Professor Tenorth sieht aber durchaus Vorteile in den klaren Strukturen des Bachelor-Studiengangs: Durch die Aufteilung in Module seien die Studenten gezwungen, intensiver zu arbeiten, hätten aber dafür nicht so viel Arbeit am Ende ihres Studiums. Außerdem sei der Praxisbezug bereits in früheren Studienphasen vorhanden. Nur die Kopplung der Fachwissenschaften – wie bei Henriette Kämmer Mathe und Bio – mit der Fachdidaktik ist seiner Meinnung nach noch nicht ausreichend gewährleistet. Doch daran könne noch gearbeitet werden.

Ein Konzept zur Verbindung des wissenschaftlichen Fachs mit der Berufspraxis gibt es bereits: In so genannten Lehrerbildungszentren sollen Lehramtsanwärter speziell konzipierte Kurse besuchen können. Die GEW stellt sich darunter einen Ausbildungsrahmen für Studierende vor, in dem Hochschullehrer und Ausbildende aus der Berufspraxis unterrichten. Die Universitäten befürchten jedoch die Gründung neuer pädagogischer Hochschulen. Darum pochen sie darauf, solche Zentren nur intern und nicht hochschulübergreifend aufzubauen.

Ob es Lehrerbildungszentren geben wird und wie genau der Master mit Lehramtsoption aussehen soll, steht noch in den Sternen. Senator Böger bleibt trotzdem zuversichtlich: „Die Grundlinien der Reform finde ich gut. Es ist zu früh, rotes oder grünes Licht zu geben. Aber jeder Schritt zur Veränderung des vorhandenen Systems ist ein Schritt in die richtige Richtung.“