Harald Keller Der Wochenendkrimi: Deutsche Wertarbeit
Es ist in der Fernsehkritik derzeit Mode, nahezu jede TV-Serie aus angelsächsischer Herstellung blindlings zu bejubeln. Irritierend nur, wenn diese Hymnen von Leuten stammen, die das Medium Fernsehen noch vor Kurzem verächtlich ignorierten. Deshalb ist Misstrauen angebracht, wenn bei Titeln wie „The Wire“ großspurig mindestens von Innovationen, wenn nicht von Revolutionen schwadroniert wird. 2003 schon schrieb der Medienwissenschaftler Rainer Leschke über behauptete „Medienrevolutionen“: „Ihre erste Funktion besteht darin, Argumentation einfach dadurch zu erleichtern, dass die historische Kontinuität unterbrochen und durch einen nicht erklärbaren Bruch ersetzt wird.“
Außerdem sei daran erinnert, dass inhaltlich oder formal gewagtere Produktionen aus einheimischer Fertigung es bei der deutschen Kritik oft nicht leicht hatten. Im Kreise von Fernsehpreisjuroren wurde etwa die fortschrittliche ARD-Vorabendserie „Die Partner“ (1995) gerade wegen ihrer neuartigen Kameraführung beinahe unbesehen abgelehnt; das gekonnt elliptische Erzählen blieb ungewürdigt. Ähnlich erging es der Bremer „Tatort“-Episode „Scheherazade“ (2005) und der „Schimanski“-Folge „Sehnsucht“ (1999) – hier wie dort war die Fantasie des Betrachters gefragt. Das jedoch schätzen deutsche Kritiker offenbar nur bei HBO- oder BBC-Produktionen.
Es war – und ist – nicht alles schlecht im deutschen Serienschaffen. Derzeit wiederholt RTLnitro die hauseigene Produktion „Balko“ (1995). Gelungen daran: Balkos (Jochen Horst) Dortmunder Kommissariat ist ein nervenzehrender Arbeitsplatz mit entsprechend ruppigen Umgangsformen und grimmigen Witzeleien. Der Humor wirkt dabei nie ausgestellt; auch schreiben die Hauptautoren Leo P. Ard und Michael Illner milieusicher und mit stimmigen popkulturellen und sozialen Verweisen. Eine Empfehlung nicht nur für frisch berufene Serienexegeten mit Weiterbildungsbedarf.
■ „Balko“, Sa., 22 Uhr, RTLnitro
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