Syrien: Ist die Welt machtlos?
Ja

Konflikt Bisher sind alle Friedensinitiativen gescheitert. Die Staatengemeinschaft sucht nach einer Lösung

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Erich Gysling, Nahostexperte und Präsident des Schweizer „Forums Ost-West“

Mit Aktionen wie der Ausweisung der Botschafter oder weiteren Sanktionen wird man in Syrien nichts Wesentliches erreichen. Die internationale Gemeinschaft hat bisher nahezu optimal gehandelt, indem sie eine Beobachtermission ins Land geschickt hat. Doch nachdem auch das die Gewalt nicht beendet hat, bliebe jetzt nur noch, Truppen zu entsenden, die in den Städten die kämpfenden Gruppen voneinander trennen. Syrien hat jedoch – anders als Libyen – viele Städte, die eng beieinander liegen. Es bräuchte also sehr viele Soldaten. Doch so einen Beschluss wird der Sicherheitsrat nicht fällen, weil Russland ihn blockiert. Der Westen wirft Russland vor, es handele opportunistisch und denke nur an seine Wirtschaftsbeziehungen zu Syrien, aber so einfach ist es nicht. Man darf nicht vergessen, dass Russland im Jahr 2011 darauf verzichtete, ein Veto gegen die Libyen-Resolution einzulegen. In dieser Resolution gab es ein Mandat zur Durchsetzung eines Flugverbots und zum Schutz der Zivilbevölkerung. Russland hat erlebt, dass der Westen dieses Mandat überzogen und missbraucht hat, um selbst Kriegspartei zu werden. Das kann man politisch richtig finden, aber man muss diesen Vorgang mit berücksichtigen, wenn man erklären will, warum Russland jetzt einen Einsatz blockiert. Von außen kann man also sehr wenig in Syrien erreichen. Und in Syrien selbst wird die Erbitterung beider Seiten immer größer, nachdem die Gewalt auf beiden Seiten eskaliert. Die einzige Hoffnung ist, dass plötzlich doch noch die Weisheit siegt, wie in Südafrika, als Weiße und Schwarze erkannten, dass sie mit Kampf nicht weiterkommen. Aber diese Hoffnung ist sehr klein.

Salam Said ist Ökonomin, Universitätsdozentin und syrische Aktivistin in Berlin

Die Welt ist machtlos, weil die Welt machtlos sein möchte. Syrien ist kein reicher Erdölstaat. Hier geht es – nur – um das syrische Volk und nicht um Wirtschaftsinteressen. Bei Libyen, dem Erdölland, hat der Westen schnell gehandelt und durch geschickte Verhandlungen die Zustimmung Russlands und Chinas für eine militärische Intervention erwirkt. Die politischen Interessen an Syrien gehen auf der internationalen Bühne so weit auseinander, dass eine Einigung über einen Machtwechsel unmöglich scheint. Die Etablierung eines demokratischen Staats liegt auch nicht unbedingt im Interesse einiger Länder, da dies die benachbarten autokratischen Monarchien, und damit wichtige ökonomische und politische Verbündete des Westens, infrage stellt. Außerdem könnten demokratische Wahlen eine wirtschaftlich-liberale und religiös-konservative Partei an die Macht bringen, was nicht im Sinne Russlands ist. Die Welt hält am Sechs-Punkte-Plan des UN-Sondergesandten Kofi Annan fest – der letzten Hoffnung, um die blutige Gewalt gegen Zivilisten zu stoppen. Jedoch scheint das Regime von Baschar al-Assad keine Absicht zu haben, auf die Gewalt zu verzichten, solange Russland, China und die regionalen Verbündeten Iran, Irak und die Hisbollah im Libanon Assad unterstützen. Deshalb richtete er auch vor den Augen der UN-Beobachter ein Massaker an, dem Kinder und Frauen zum Opfer gefallen sind. Die Welt verurteilt diese Gewalt, ist jedoch nicht in der Lage, sie zu stoppen. Der Annan-Plan muss aber gelingen, denn eine militärische Intervention ist umstritten und unwahrscheinlich. Die internationale Gemeinschaft – allen voran die USA und EU – müsste die staatstragenden Eliten in Syrien weiter wirtschaftlich unter Druck setzen und den Verbündeten des Regimes Garantien geben, um deren Angst vor einem Machtwechsel in Damaskus zu zerstreuen. Warum tut sie es nicht?

Nein

Ferhad Ahma ist Mitglied des syrischen Nationalrats und im Exil in Berlin

Es ist an der Zeit, dass die internationale Staatengemeinschaft Einigkeit zeigt. Diese Massaker, die wir in den letzten Wochen in Syrien beobachtet haben, waren nicht die ersten. So etwas geschieht in Syrien seit mehr als einem Jahr. Baschar al-Assad ist ein Diktator, der das ganze Land als sein Eigentum betrachtet und bereit ist, alles zu machen, um seine Macht zu erhalten. Dieses Regime hat überhaupt kein Interesse an einer politischen Lösung, es ist unberechenbar und zu allem fähig. Die Menschen in Syrien sind weiterhin entschlossen, ihre Revolte fortzuführen, bis das Regime gestürzt ist. Jetzt muss die Staatengemeinschaft diplomatischen Druck ausüben und den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einschalten. Der Sicherheitsrat muss eine bindende Resolution beschließen, die auch einen bewaffneten Einsatz nicht ausschließt. Dazu muss auch Russland seine Verantwortung wahrnehmen. Russland muss begreifen, dass aufgrund seiner Haltung Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien begangen werden. Es ist auch die Aufgabe der Europäischen Union und der USA, Russland zu überzeugen, dass es kein Veto gegen eine Resolution im UN-Sicherheitsrat einlegt. Ansonsten wird ein Bürgerkrieg mit verheerenden Konsequenzen ausbrechen, der sich über Syrien hinaus in der Region ausbreiten wird. Angesichts der brutalen Gewalt des Regimes dürfen wir einen Militärschlag nicht mehr länger ausschließen. Alle bisherigen Initiativen sind gescheitert: Der Sechs-Punkte-Plan des UN-Sondergesandten Kofi Annan genauso wie die Initiative der Arabischen Liga. Vor den Augen der internationalen Beobachter begeht das Regime weiter täglich Massaker. Die Ausweisung des syrischen Botschafters aus Deutschland war längst fällig, aber jetzt müssen Schritte folgen, damit das Regime endgültig stürzt und die Syrer den Weg zu einer Demokratie und einem Leben in Menschenwürde finden können.

Nicolas Kienzler ist taz.de-Leser und hat die Streitfrage per Mail beantwortetDie Welt in Syrien ist nicht machtlos – nur restlos zerstritten und unentschlossen. In Libyen hat die internationale Staatengemeinschaft die Zivilbevölkerung geschützt, geholfen, den Machthaber Muammar al-Gaddafi zu stürzen, und so für Demokratie gesorgt. Die dortige Mission kann als Erfolg gewertet werden, sollte als Beispiel für den Konfliktherd in Syrien dienen. Doch Russland und China, Vetomächte im Weltsicherheitsrat, stellen sich gegen einen militärischen Eingriff in Syrien mit der „nationalen Souveränität“ als fadenscheinige Begründung. Sie lassen die Zivilbevölkerung seit mehr als einem Jahr leiden – denn sie können von einem Sturz des Machthabers Baschar al-Assad nicht durch etwaige Ölvorkommen profitieren. Gewonnen werden kann auf einer andere Seite: nichts Materielles, aber Menschlichkeit und Freiheit für ein ganzes Volk. China und Russland mit diesen Argumenten zu überzeugen, ist Aufgabe des Westens. Man ergreift bei einem Militäreinsatz Partei gegen Diktatur und Unbarmherzigkeit, gegen Leid und Elend. Der Westen muss mit Bedacht vorgehen, ein Militäreinsatz ohne Billigung der beiden Ostmächte Russland und China könnte die Machtspiele verstärken, ein neues Wettrüsten, durch ein Eingreifen der Ostmächte gar einen dritten Weltkrieg einleiten. Als westliches Land mit den besten Beziehungen zu Russland kommt Deutschland dabei eine besondere Rolle zu. Tritt der Westen geschlossen auf, besitzt er politisch, wirtschaftlich und militärisch jedenfalls genug Macht, um eine auf Ausgleich bedachte Lösung herbeizuführen. Machtlos wäre er, wenn er gar nicht handelt.